Malina
bin am Tag darauf zu Alexander gegangen, auch den jungen Bardos, den ich kaum kannte, hätte es treffen können, aber der war schon hundert Meter weg gewesen. Zu Alexander sagte ich, ich sei dermaßen, gewissermaßen, ich sei einigermaßen niedergeschlagen, einfach sprachlos, aber ich redete eine ganze Menge, dennAlexander hatte sich sein Teil schon gedacht, und ich fühlte es, er werde eine Anzeige machen, aber das durfte doch nicht geschehen, begreif doch! Ich sagte auch, ›man‹ hätte die Straße leer geglaubt, wer konnte schon ahnen, daß auch Bardos in dieser späten Stunde da unten stand, und gesehen hatte ›man‹ ihn vielleicht, sogar sicher, aber das wußte nur ich, darum kam ich auf schwere Zeiten zu sprechen, nur in Alexanders Mienen war zu lesen, daß er derartige Vorfälle nicht mit schweren Zeiten entschuldigen konnte, so erfand ich noch zu den schweren Zeiten eine schwere Krankheit, so erfand ich immerzu eine Menge. Überzeugt war Alexander nicht. Meine Absicht war es auch nicht, überzeugend zu wirken, sondern das Schlimmste im Moment zu verhindern.
Malina: Warum hast du das getan?
Ich: Ich weiß nicht. Ich habe es getan. Damals war es richtig für mich, es zu tun. Später weiß man nichts mehr. Nicht einmal einen Grund, da jeder hinfällig geworden ist.
Malina: Wie würdest du ausgesagt haben?
Ich: Gar nicht. Mit einem Wort höchstens, das ich noch aussprechen konnte – aber da wußte ich schon nicht mehr, was es bedeutet –, hätte ich alle Fragen zunichte gemacht. (Ich mache Malina mit den Fingern ein Zeichen, in der Taubstummensprache.) Wäre ich damit nicht ganz gut durchgekommen? Oder mit der Behauptung: Angehörigkeit. Du hast leicht lachen, es ist dir ja nichts passiert, du bist nicht an dem Tor gestanden.
Malina: Lache ich denn? Du lachst. Du solltest schlafen, es ist sinnlos, mit dir zu reden, solange du zurückhältst mit der Wahrheit.
Ich: Der Polizei habe ich Geld gegeben, alle sind ja nicht bestechlich, aber diese Burschen waren es, das ist wahr. Die sind froh gewesen, daß sie zurück ins Revier oder in die Betten konnten.
Malina: Was gehen mich diese Geschichten an. Dir träumt ja.
Ich: Ich träume, aber ich versichere dir, daß ich zu begreifen anfange. Damals fing ich auch an, alles, was ich las, entstellt zu lesen. Wenn irgendwo stand ›Sommermoden‹, habe ich gelesen ›Sommermorde‹. Das ist nur ein Beispiel. Ich könnte dir Hunderte nennen. Glaubst du das?
Malina: Natürlich, aber ich glaube schon einiges, was du selber noch immer nicht glauben willst.
Ich: Und das wäre ...
Malina: Du vergißt, daß ich morgen Journaldienst habe. Steh bitte rechtzeitig auf. Ich bin todmüde. Auch wenn das Frühstücksei einmal weder zu weich, noch zu hart sein könnte, wäre ich dir dankbar. Gute Nacht.
Die neuen Wintermorde sind angekommen, sie werden schon in den wichtigsten Mordhäusern vorgeführt. Mein Vater ist der erste Couturier der Stadt. Ich weigere mich, aber ich soll die Braut-Modelle vorführen. Es gibt in diesem Jahr sowieso nur weiße und nur wenige schwarze Morde, die weißen im Eispalast, bei 50 Grad Kälte, man wird dort lebend für das Publikum und vor dem Publikum getraut, in Eisschleiern und mit Eisblumen. Die Brautleute müssen nackt sein. Der Eispalast steht an der Stelle, an dem der alte Eislaufverein war und wo im Sommer die Ringkämpfe stattfinden, aber mein Vater hat den ganzen Platz gemietet, ich soll getraut werden mit dem jungen Bardos, eine Musikkapelle ist bestellt, die sich auch zu Tode fürchtet, bei dieser Temperatur spielen zu müssen, doch mein Vater läßt die Witwen versichern. Noch sind es die Frauen der Musikanten.
Mein Vater ist aus Rußland zurückgekommen, es hat ihm geschadet. Er hat nicht die Eremitage gesehen, sondern die Torturen studiert, er hat die Zarin Melanie mitgebracht. Ich muß mit Bardos auf das Eis, in einen graziösen, kunstvollen Eispavillon, beklatscht von ganz Wien und der Welt, denn die Vorstellung wird über den Satelliten übertragen, es soll an dem Tag sein, an dem die Amerikaner oder die Russen oder alle miteinander zum Mond fahren. Meinem Vater kommt es nur darauf an, daß die Wiener Eisschau die ganze Welt den Mond und die Weltmächte vergessen läßt. Er jagt in einer pelzbeschlagenen Kutsche um den ersten und dritten Bezirk, läßt sich noch einmal bestaunen mit der jungen Zarin, ehe das große Spektakel beginnt.
Zuerst werden alle über Lautsprecher aufmerksam gemacht auf die erfinderischen Details des
Weitere Kostenlose Bücher