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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Sedlacek und nicht von dem jungen Fuchs, sondern von einem Briefträger, den ich nicht zu kennen glaube, der auch noch nie zwischen Weihnachten und Neujahr mit Glückwünschen aufgetaucht ist, der also wenig Grund hat, zu mir freundlich zu sein. Der Briefträger von heute sagt: Sie bekommen aber sicher nur schöne Post, und an der trag ich mich schwer! Ich habe erwidert: Ja, schwer tragen Sie, aber wir werden erst einmal nachsehen, ob Sie wirklich die schöne Post bringen, leider muß ich manchmal unter Ihrer Post leiden, und Sie leiden eben auch für meine Post. Dieser Briefträger ist wenn nicht ein Philosoph, so doch gewiß ein Filou, denn es macht ihm Spaß, mir gleich vier schwarzgerandete Kuverts auf zwei übliche Briefe draufzulegen. Vielleicht hofft er, daß eine Todesanzeige mich freut. Aber diese eine kommt nicht, nie ist sie dabei, ich brauche nicht nachzusehen, ich werfe die vier Kuverts ungelesen in den Papierkorb. Ich würde es fühlen, wenn die richtige dabei ist, und dieser Schmeichler von einem Briefträger hat mich vielleicht durchschaut, es gibt Mitwisser nur unter den Menschen, die man kaum kennt, unter irregulären Briefträgern, wie diesem. Ich möchte ihn nie wiedersehen. Ich werde Herrn Sedlacek fragen, warum wir noch länger einen Aushilfsbriefträger brauchen, der unsere Häuser kaum kennt, der mich kaum kenntund Bemerkungen macht. In dem einen Brief liegt eine Mahnung, in dem anderen schreibt jemand, er treffe morgen um 8 h 20 ein, auf dem Südbahnhof, die Schrift kommt mir nicht bekannt vor, die Unterschrift ist unleserlich. Ich muß Malina fragen.
    Die Briefträger sehen an manchen Tagen im Jahr unser Erblassen und unser Erröten, und gerade deswegen bittet man sie vielleicht nicht, einzutreten, Platz zu nehmen, einen Kaffee zu trinken. Sie sind zu eingeweiht in die Dinge, die furchtbar sind, die sie aber furchtlos durch die Straßen tragen, und so fertigt man sie ab vor der Tür, mit Trinkgeld, ohne Trinkgeld. Ihr Schicksal ist ein ganz und gar unverdientes. Die Behandlung, die selbst ich ihnen zukommen lasse, ist eine törichte, hochmütige, völlig unzumutbare. Nicht einmal nach dem Eintreffen von Ivans Ansichtskarten lade ich Herrn Sedlacek zu einer Flasche Champagner ein. Allerdings haben Malina und ich keine Champagnerflaschen im Haus herumstehen, aber für Herrn Sedlacek sollte ich eine bereithalten, denn er sieht mich blaß und rot werden, er ahnt etwas, er muß etwas wissen.
    Daß man Briefträger aus Berufung werden kann, daß man das Austragen von Post nur mißverständlich als beliebigen Beruf wählt oder ihn dafür hält, hat der berühmte Briefträger Kranewitzer in Klagenfurt bewiesen, dem man dann allerdings den Prozeß gemacht hat und ihn, einen völlig verkannten, von der Öffentlichkeit und dem Gericht mißhandelten Mann, hat man wegen Veruntreuung und Amtsmißbrauch zu einigen Jahren Gefängnis verurteilt. Die Prozeßberichte über den Fall Kranewitzer habe ich aufmerksamer gelesen als die der aufsehenerregendsten Mordprozesse in all diesen Jahren, und der Mann, der mich damals nur erstaunte, hat heute meine tiefste Sympathie. Von einem bestimmten Tag an, ohne daß er Gründe anzugeben vermochte, hat Otto Kranewitzer die Post nicht mehr ausgetragen und wochenlang, monatelang in der von ihm allein bewohnten Dreizimmer-Altwohnung die Post aufgestapelt, bis zur Decke, er hatte fast alle Möbel verkauft, um Platz zu finden für den anwachsenden Postberg. Briefe und Pakete hat er nicht geöffnet, Wertpapiere und Schecks nicht an sich genommen, keine Geldscheine von Müttern an ihre Söhne entwendet, nichts dergleichen war ihm nachzuweisen. Er konnte nur plötzlich die Post nicht mehr austragen, ein empfindlicher, zarter, großer Mann, dem die ganze Tragweite seines Unterfangens aufgegangen war, und eben deswegen mußte der kleine Beamte Kranewitzer mit Schimpf und Schande die Österreichische Postverlassen, die sich etwas darauf zugute hält, daß sie nur zuverlässige, rührige und ausdauernde Briefträger beschäftige. In jedem Beruf muß es jedoch zumindest einen Menschen geben, der in einem tiefen Zweifel lebt und in einen Konflikt gerät. Gerade das Briefaustragen bedürfte einer latenten Angst, eines seismografischen Auffangens von Erschütterungen, das sonst nur höheren und höchsten Berufen zugestanden wird, als dürfte es nicht auch eine Krise der Post geben, für sie kein Denken – Wollen – Sein, kein skrupulöses und erhabenes Entsagen, das doch sonst allen

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