Malina
Zusammentreffen ab. Er leitet ein Unternehmen oder eine Regierung, er inszeniert an einem Theater, er hat Tochterrechte und Tochtergesellschaften, er gibt dauernd Befehle, spricht über mehrere Telefone, und deswegen kann ich mich noch nicht hörbar machen, nur in dem Augenblick, in dem er sich eine Zigarre anzündet. Ich sage: Mein Vater, du wirst diesmal mit mir sprechen und mir antworten auf meine Fragen! Mein Vater winkt gelangweilt ab, er kennt das schon, mein Kommen und Fragenstellen, er telefoniert wieder. Ich trete zu meiner Mutter, sie hat die Hosen meines Vaters an, und ich sage zu ihr: Heute noch wirst du mit mir sprechen und mir Antwort stehen! Aber meine Mutter, die auchdie Stirn meines Vaters hat und sie genauso wie er hochzieht in zwei Falten über den müden, trägen Augen, murmelt etwas von ›später‹ und ›keine Zeit‹. Nun trägt mein Vater ihre Röcke, und ich sage zum dritten Mal: Ich glaube, ich weiß es bald, wer du bist, und noch heute nacht, ehe die Nacht um ist, werde ich es dir selber sagen. Doch der Mann setzt sich seelenruhig an den Tisch und bedeutet mir, zu gehen, aber an der Türe, die man mir aufhält, drehe ich mich um und komme langsam zurück. Ich gehe mit meiner ganzen Kraft und bleibe an dem großen Tisch in dem Gerichtssaal stehen, während der Mann auf dem Tisch gegenüber sein Schnitzel unter dem Kreuz zu zerschneiden anfängt. Ich sage noch nichts, lasse aber meinen Abscheu erkennen darüber, wie er mit der Gabel in das Kompott fährt und mir jovial zulächelt, nicht anders als dem Publikum, das plötzlich den Saal räumen muß, er trinkt Rotwein, daneben liegt schon wieder eine Zigarre, und ich sage noch immer nichts, aber es ist doch unmißverständlich für ihn, was mein Schweigen heißt, denn jetzt gilt es. Ich nehme den ersten schweren Aschenbecher aus Marmor, wiege ihn in der Hand und hebe ihn hoch, der Mann ißt ruhig weiter, ich ziele und treffe den Teller. Dem Mann fällt die Gabel aus der Hand, das Schnitzel fliegt auf den Boden, er hält noch das Messer und hebt es, aber gleichzeitig hebe ich schon den nächsten Gegenstand, da er noch immer nicht antwortet, und ziele genau in die Kompottschüssel, er wischt sich mit einer Serviette den Saft aus dem Gesicht. Jetzt weiß er, daß ich kein Gefühl mehr habe für ihn und daß ich ihn töten könnte. Ich werfe ein drittes Mal, ich ziele und ziele, ich ziele genau, und der Gegenstand wischt flach über den Tisch hin, so daß alles wegfliegt, Brot, Weinglas, Scherben und eine Zigarre. Mein Vater hält sich die Serviette vors Gesicht, er hat mir nichts mehr zu sagen.
Und?
Und?
Ich selber wische ihm das Gesicht sauber, nicht aus Mitleid, sondern um ihn besser zu sehen. Ich sage: Ich werde leben!
Und?
Die Leute haben sich zerstreut, sie sind nicht auf ihre Kosten gekommen. Ich bin mit meinem Vater allein unter dem Himmel, und wir stehen so weit auseinander, daß es durch den Raum hallt:
Und!
Mein Vater legt zuerst die Kleider meiner Mutter ab, er steht so weit weg, daß ich nicht weiß, welches Kostüm er darunter anhat, er wechselt in einem fort die Kostüme, er trägt den blutbefleckten weißen Schlächterschurz, vor einem Schlachthaus im Morgengrauen, er trägt den roten Henkersmantel und steigt die Stufen hinauf, er trägt Silber und Schwarzmit schwarzen Stiefeln vor einem elektrisch geladenen Stacheldraht, vor einer Verladerampe, auf einem Wachtturm, er trägt seine Kostüme zu den Reitpeitschen, zu den Gewehren, zu den Genickschußpistolen, die Kostüme werden in der untersten Nacht getragen, blutbefleckt und zum Grauen!
Und?
Mein Vater, der nicht die Stimme meines Vaters hat, fragt von weit her:
Und?
Und ich sage weithin, weil wir immer weiter auseinanderkommen und weiter auseinander und weiter:
Ich weiß, wer du bist.
Ich habe alles verstanden.
Malina hält mich, er sitzt auf dem Bettrand, und wir sprechen beide eine Weile nicht. Mein Puls geht nicht schneller, nicht langsamer, der Paroxysmus tritt nicht ein, mir ist nicht kalt, es bricht mir kein Schweiß aus, Malina hält und hält mich, wir kommen nicht voneinander los, denn seine Ruhe ist auf mich übergegangen. Dann löse ich mich von ihm, ich rücke die Kopfpolster selber zurecht, ich lege meine Hände um Malinas Hände, nur ansehen kann ich ihn nicht, ich schaue auf unsere Hände nieder, die immer fester ineinandergreifen, ich kann ihn nicht ansehen.
Ich: Es ist nicht mein Vater. Es ist mein Mörder.
Malina antwortet nicht.
Ich: Es ist
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