Malina
mein Mörder.
Malina: Ja, das weiß ich.
Ich antworte nicht.
Malina: Warum hast du immer gesagt: mein Vater?
Ich: Habe ich das wirklich gesagt? Wie konnte ich das nur sagen? Ich habe es doch nicht sagen wollen, aber man kann doch nur erzählen, was man sieht, und ich habe dir genau erzählt, wie es mir gezeigt worden ist. Ich habe ihm auch noch sagen wollen, was ich längst begriffen habe – daß man hier eben nicht stirbt, hier wird man ermordet. Darum verstehe ich auch, warum er in mein Leben hat treten können. Einer mußte es tun. Er war es.
Malina: Du wirst also nie mehr sagen: Krieg und Frieden.
Ich: Nie mehr.
Es ist immer Krieg.
Hier ist immer Gewalt.
Hier ist immer Kampf.
Es ist der ewige Krieg.
Drittes Kapitel
Von letzten Dingen
Den größten Schrecken jagt mir im Moment vielleicht das Los unserer Postbeamten ein. Malina weiß, daß ich, außer für Straßenarbeiter, eine besondere Schwäche für Postbeamte habe, und dies aus mehreren Gründen. Während meine Neigung für die Straßenarbeiter mich beschämen sollte, obwohl ich mir nie etwas habe zuschulden kommen lassen, weil es immer bei einem freundlichen Gruß blieb oder beim flüchtigen Zurückschauen aus einem Auto auf eine Gruppe von gebräunten, in der Sonne schwitzenden Männern mit nacktem Oberkörper, die Kies aufschütten, den Teer aufspritzen oder ihre Jause verzehren. Jedenfalls habe ich mich nie getraut anzuhalten, selbst Malina, der von meiner weiter nicht erklärbaren Schwäche doch weiß und sie begreiflich findet, habe ich nie gebeten, mir behilflich zu sein, mit einem Straßenarbeiter ins Gespräch zu kommen.
Meine Zuneigung für Briefträger ist aber von jeder tadelnswerten Beimengung unlauterer Gedanken frei. Ich erkenne nicht einmal ihre Gesichter nachJahren wieder, denn ich unterschreibe rasch an der Tür die Zettel, die sie mir hinreichen, oft noch mit einem dieser altmodischen Tintenstifte, die sie mit sich tragen. Ich bedanke mich auch herzlich für die Expreßbriefe und Telegramme, die sie mir aushändigen, und geize nicht mit Trinkgeldern. Aber ich kann mich nicht bedanken, wie ich es möchte, für Briefe, die sie mir nicht zustellen. Trotzdem gilt meine Herzlichkeit, meine Überschwenglichkeit an der Tür auch dem Nichtzugestellten oder der verlorenen und der vertauschten Post. Jedenfalls habe ich das Wundersame des Briefezustellens und des Päckchenaustragens schon sehr früh erkannt. Auch der Briefkasten im Hausflur, in einer Briefkastenreihe, von den modernsten Designern entworfen für die weitvorausschauende Briefkastenindustrie, ausgeführt vermutlich für Wolkenkratzer, wie wir in Wien noch keine haben, die im schärfsten Kontrast zu der marmornen Niobe aus der Jahrhundertwende und der großräumigen feierlichen Eingangshalle stehen, läßt mich nie gleichgültig an die Männer denken, die meinen Kasten füllen mit Todesanzeigen, mit Briefkarten, in denen sich Galerien und Institute empfehlen, Reisebüros mit Werbeprospekten, die nach Istanbul, auf die Kanarischen Inseln und nach Marokko rufen. Sogar eingeschriebene Briefe werden von einem vernünftigen Herrn Sedlacek oder dem jüngeren Herrn Fuchs eingeworfen,damit ich nicht auf das Postamt in der Rasumofskygasse laufen muß, und die Geldanweisungen, die mein Herz sinken oder steigen lassen, werden so früh am Morgen gebracht, daß ich, barfuß und im Schlafrock, für den Geldbriefträger immer zur Unterschrift parat bin. Die Abendtelegramme hingegen, wenn sie noch vor acht Uhr abends vom Telegrammboten gebracht werden, erreichen mich auch in einem Zustand der Auflösung oder der Neukomposition. Wenn ich an die Tür gehe, ein Aug noch gerötet von den Augentropfen, ein Handtuch über den Kopf geworfen, der frisch gewaschenen Haare wegen, die noch nicht trocken sind, fürchtend, daß Ivan zu früh gekommen sein könnte, ist es nur ein neuer oder alter Freund mit einem Abendtelegramm. Was ich diesen Männern verdanke, die, wie die Beuteltiere, kostbarste Freudenbotschaften oder unerträgliche Hiobsbotschaften mit sich herumtragen, auf Fahrrädern radelnd, auf Motorrädern heraufknatternd vom Heumarkt, Stiegen steigend, unter Lasten läutend, in der größten Unsicherheit, ob der Weg sich gelohnt hat, ob der Adressat anwesend ist, ob der Adressat nur einen Schilling oder vier Schilling ausläßt, was ihm die Nachricht überhaupt wert ist – was wir also alle diesen Männern verdanken, bleibt noch zu sagen.
Heute endlich ist ein Satz gefallen, nicht von Herrn
Weitere Kostenlose Bücher