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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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so könnte mir noch einmal etwas geschehen, und ich muß mich mehr und mehr fernhalten von der Hölle, in der ich schon einmal gewesen sein muß. Aber ich erinnere mich nicht.

    Ich: Ich muß mich freiwillig unterwerfen können, du bist ja etwas jünger als ich, und ich habe dich erst später getroffen. Früh oder spät war nicht so wichtig, aber dieser Unterschied ja. (Und von Ivan will ich gar nicht reden, damit Malina nichts erfährt, denn wenn mir Ivan auch das Alter austreiben will, so möchte ich es doch behalten, damit mir Ivan nie älter wird.) Du bist eben doch ein ganz klein wenig jünger als ich, das gibt dir eine ungeheure Macht, nütz sie doch aus, ich werde mich unterwerfen, ich kann es schon zuweilen. Es kommt aus keiner vernünftigen Überlegung. Ekel oder Zuneigung sind ihr vorausgegangen, ich kann es nicht mehr ändern, ich habe Angst.
    Malina: Ich bin vielleicht älter als du.
    Ich: Gewiß nicht, das weiß ich. Du bist nach mir gekommen, du kannst nicht vor mirdagewesen sein, du bist überhaupt erst denkbar nach mir.
    Zu den letzten Junitagen habe ich kein besonderes Zutrauen, aber oft habe ich festgestellt, daß ich Personen besonders gern habe, die im Sommer geboren sind. Beobachtungen dieser Art tut Malina verachtungsvoll ab, denn eher dürfte ich ihm noch mit Fragen nach der Astrologie kommen, von der ich nichts verstehe. Frau Senta Novak, die in Schauspielerkreisen sehr gefragt ist, aber auch von Industriellen und Politikern konsultiert wird, hat einmal in Kreise und Quadrate meine Aspekte und alle möglichen Tendenzen eingezeichnet, sie zeigte mir mein Horoskop, das ihr ungemein merkwürdig erschien, ich müsse es direkt selber sehen, wie scharf es gezeichnet sei, sie sagte, eine unheimliche Spannung sei schon auf den ersten Blick daraus zu lesen, es sei eigentlich nicht das Bild von einem Menschen, sondern von zweien, die in einem äußersten Gegensatz zueinander stünden, es müsse eine dauernde Zerreißprobe für mich sein, bei diesen Aspekten, falls ich die Daten genau angegeben hätte. Ich fragte höflich: Der Zerrissene, die Zerrissene, nicht wahr? Getrennt, meinte Frau Novak, wäre das lebbar, aber so, wie es sei, kaum, auch das Männliche und das Weibliche, der Verstand und das Gefühl, die Produktivität und die Selbstzerstörung träten auf eine merkwürdige Weise hervor. Ich müsse mich geirrt haben mit den Daten, denn ich sei ihr sofort sympathisch gewesen, ich sei eine so natürliche Frau, sie mag natürliche Menschen.
    Malina wendet sich allem mit einem gleichmäßigen Ernst zu, auch Aberglauben und Pseudowissenschaften findet er nicht lächerlicher als die Wissenschaften, von denen sich in jedem Jahrzehnt herausstellt, auf wieviel Aberglauben und Pseudowissenschaftlichkeit sie beruht haben und auf wie viele Ergebnisse sie verzichten müssen, um weiterzukommen. Daß Malina sich allem leidenschaftslos zuwendet, den Menschen und den Sachen, das charakterisiert ihn am besten, und darum gehört er auch zu den seltenen Menschen, die weder Freunde noch Feinde haben, ohne selbstgenügsam zu sein. Zuwendung ist es auch, was er mir gegenüber hat, manchmal eine abwartende, manchmal eine aufmerksame, er läßt mich tun und lassen, was ich will, er sagt, man begreife die Menschen überhaupt nur, wenn man nicht in sie dringe, wenn man nichts fordere von ihnen und sich nicht herausfordern lasse, es zeige sich alles ohnedies. Dieses Gleichgewicht, dieser Gleichmut, der in ihm ist, wird mich noch zur Verzweiflung treiben, weil ich in allen Situationen reagiere, mich an jedem Gefühlsaufruhr beteiligen lasse und die Verluste erleide, die Malina unbeteiligt zur Kenntnis nimmt.
    Es gibt Leute, die meinen, Malina und ich seien verheiratet. Daß wir es sein könnten, daß es diese Möglichkeit gäbe, darauf sind wir nie gekommen, nicht einmal, daß die anderen so etwas von uns denken könnten. Die längste Zeit sind wir nicht einmal auf den Gedanken gekommen, daß wir, wie andere auch, überall als Mann und Frau auftauchen. Es war der reinste Fundgegenstand für uns, aber wir wußten damit nichts anzufangen. Wir haben sehr gelacht.
    An einem Morgen, an dem ich erschöpft herumgehe und zerstreut das Frühstück herrichte, ist Malina zum Beispiel fähig, sich für das Kind zu interessieren, das uns gegenüber im Hinterhof wohnt und schon ein Jahr lang nur zwei Worte schreit: Hallo, hallo! holla, holla! Ich wollte schon einmal hinübergehen, mich einmischen und mit der Mutter dieses Kindes sprechen,

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