Malina
konnte, wurde ich sofort schwer krank, ich bekam regelrechte Krankheiten mit hohem Fieber, und man konnte mich nicht auf den Weg schicken, zu schwören. Alle Leute mit nur einem einzigen Schwur haben es eben schwerer. Mehrere Schwüre kann man sicher brechen, aber einen nicht.
Da Malina mich kennt und mein Herumstolpern von einer Sache zur anderen ihm geläufig ist, glaubt er mir, daß ich trotzdem den Willen habe, alles viel weiterzutreiben, als ich es in unserer alltäglichen, eingeschränkten Möglichkeit zu erkennen gebe, daß ich also auch dem Briefgeheimnis zuletzt noch auf die Spur kommen möchte und daß ich es wahren werde.
Die Briefträger in Wien sollen heute nacht alle gefoltert werden, man will wissen, ob sie dem Briefgeheimnis gewachsen sind. Einige wiederum sollen nur auf Krampfadern, Plattfüße und andere physische Deformationen untersucht werden. Es ist möglich, daß man von morgen an das Militär einsetzen wird, um die Post auszutragen, weil die Briefträgergeschunden, verletzt, gequält, gefoltert oder, nach dem Injizieren des Wahrheitsserums, zusammengebrochen, nichts mehr werden austragen können. Ich überlege mir eine flammende Rede, einen Brief, ja, einen flammenden Brief an den Postminister, um meine und alle anderen Briefträger zu schützen. Einen Brief, der vielleicht schon von den Soldaten abgefangen und verbrannt wird, es werden die Flammen die Worte wegbrennen oder anschwärzen, und es könnte sein, daß auf den Korridoren des Ministeriums die Amtsdiener nur noch mit einem Stück verkohlten Papiers weiterjagen, um es dem Postminister zu überreichen.
Ich: Verstehst du, meine flammenden Briefe, meine flammenden Aufrufe, meine flammenden Begehren, das ganze Feuer, das ich zu Papier gebracht habe, mit meiner verbrannten Hand – von allem fürchte ich, daß es zu einem verkohlten Stück Papier werden könnte. Alles Papier in der Welt ist ja zuletzt verkohlt oder vom Wasser aufgeweicht worden, denn über das Feuer schicken sie das Wasser.
Malina: Die Alten haben von jemand, der dumm war, gesagt, er habe kein Herz. Sie haben den Sitz der Intelligenz in das Herz verlegt.Du mußt nicht dein Herz an alles hängen und alle deine Reden flammen lassen und deine Briefe.
Ich: Wie viele aber haben Köpfe, nichts weiter als Köpfe? und nämlich kein Herz. Ich sage dir, was jetzt wirklich passiert: morgen wird Wien, und mit allen Kräften und mit Hilfe des Militärs, an die Donau verlegt werden. Sie wollen Wien an der Donau haben. Sie wollen das Wasser, sie wollen das Feuer nicht. Noch eine Stadt mehr, durch die ein Fluß fließt. Es wäre entsetzlich. Bitte, ruf doch sofort den Sektionschef Matreier an, ruf den Minister an!
Aber Wien hat nicht mehr viel Zeit, es gleitet aus, die Häuser schlafen ein, die Leute machen immer früher das Licht aus, es ist niemand mehr wach, ganze Stadtviertel werden von einer Apathie erfaßt, man kommt nicht mehr zueinander, man geht nicht mehr auseinander, die Stadt gleitet in den Untergang, aber es entstehen noch einsame Überlegungen und die erratischen Monologe in der Nacht. Und manchmal Malinas und meine letzten Dialoge.
Ich bin allein zu Hause, Malina läßt lange auf sich warten, ich sitze mit dem SCHACH FÜR ANFÄNGER vor dem Brett und spiele eine Partie. Niemand sitzt mir gegenüber, ich wechsle andauernd den Platz, Malina wird nicht sagen können, daß ich diesmal am Verlieren bin, denn am Ende gewinne und verliere ich gleichzeitig. Malina aber kommt nach Hause und sieht nur ein Glas, er schaut nicht auf das Schachbrett, diese Partie interessiert ihn nicht.
Malina sagt, was ich erwartet habe: Wien brennt!
Immer habe ich mir gewünscht, einen jüngeren Bruder zu haben, vielmehr einen jüngeren Mann, Malina müßte das verstehen, eine Schwester haben wir schließlich alle, aber nicht jeder hat Brüder. Ich habe nach diesen Brüdern Ausschau schon in der Kinderzeit gehalten, nicht ein, sondern zwei Stück Zucker habe ich deswegen abends ins Fenster gelegt, denn zwei Stück Zucker sind für einen Bruder. Eine Schwester hatte ich ja. Jeder ältere Mann entsetzt mich, auch wenn er nur einen Tag älter ist, und ich würde es nie über mich bringen, ich würde mir lieber den Tod geben, als mich ihm anzuvertrauen. Das Gesicht allein, das sagt noch nichts. Ich muß die Daten wissen, ich muß wissen, daß er fünf Tage jünger ist, sonst werde ich heimgesucht von diesenZweifeln, es könnten Angehörigkeiten bestehen, ich komme unter den größten Fluch, denn
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