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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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weil sie offenbar kein Wort mit ihm spricht und hier etwas im Gange ist, was mich ängstigt für die Zukunft, weil auch jeden Tag schon dieses Hallo und Holla eine marternde Belastungfür mein Gehör ist, schlimmer als Linas Staubsauger, Wasserrauschen, Tellerschlagen. Aber Malina muß etwas anderes daraus hören und meint nicht, daß man sofort die Ärzte oder die Kinderfürsorge verständigen müsse, er hört sich dieses rufende Kind an, als wäre hier nur ein Wesen anderer Art entstanden, das ihm auch nicht sonderbarer erscheint als Wesen, die über hundert oder tausend oder vieltausend Worte verfügen. Ich glaube, daß Malina Änderung und Veränderung in jeder Hinsicht kalt lassen, weil er ja auch nirgends etwas Gutes oder Schlechtes sieht und schon gar nicht etwas Besseres. Für ihn ist offenbar die Welt, wie sie eben ist, wie er sie vorgefunden hat. Und doch erschrecke ich manchmal vor ihm, weil sein Blick auf einen Menschen von dem größten, umfassendsten Wissen ist, das man nirgends und zu keiner Zeit seines Lebens erwirbt und das man an andere nicht weitergeben kann. Sein Zuhören beleidigt mich tief, weil er hinter allem, was gesprochen wird, das Unausgesprochene mitzuhören scheint, aber auch das zu oft Gesagte. Ich bilde mir ja oft zuviel ein, und auf viele Einbildungen macht Malina mich auch aufmerksam, trotzdem kann ich mir von ihm Blick und Gehör gar nicht genau und ungewöhnlich genug vorstellen. Ich habe den Verdacht, daß er die Menschen nicht durchschaut, demaskiert, denn das wäre sehr gewöhnlich und billig, es ist auch nichtswürdig den Menschen gegenüber. Malina erschaut sie, und das ist etwas ganz anderes, die Menschen werden nicht kleiner, sondern größer davon, unheimlicher, und mein Einbildungsvermögen, das er belächelt, ist wahrscheinlich eine sehr niedere Abart von seinem Vermögen, mit dem er alles ausbildet, auszeichnet, auffüllt, vollendet. Ich spreche zu Malina darum nicht mehr von den drei Mördern und noch weniger will ich über den vierten sprechen, von dem ich ihm nichts zu erzählen brauche, denn ich habe meine Art des Ausdruckes und nur sehr wenig Geschick für die Schilderung. Malina will keine Schilderungen und Eindrücke von irgendwelchen Abendessen, die ich einmal mit Mördern verbracht habe. Er wäre aufs Ganze gegangen und nicht mit einer Impression zurückgeblieben oder mit dieser dumpfen Beunruhigung, sondern er hätte mir den wirklichen Mörder vorgeführt und mich durch die Konfrontierung zu einer Erkenntnis gebracht.
    Da ich den Kopf hängen lasse, sagt Ivan: Du hast eben nichts, wofür du dasein mußt!
    Er wird recht bekommen, denn wer will schon etwas von mir, wer braucht mich? Aber Malina sollte mir helfen, nach einem Grund für mein Hiersein zu suchen, da ich keinen alten Vater habe, dessenStütze ich im Alter sein muß, keine Kinder habe, die immerzu etwas brauchen, wie Ivans Kinder, Wärme, Wintermäntel, Hustensäfte, Turnschuhe. Auch das Gesetz von der Erhaltung der Energie ist nicht anwendbar auf mich. Ich bin die erste vollkommene Vergeudung, ekstatisch und unfähig, einen vernünftigen Gebrauch von der Welt zu machen, und auf dem Maskenball der Gesellschaft kann ich auftauchen, aber ich kann auch wegbleiben, wie jemand, der verhindert ist oder vergessen hat, sich eine Maske zu machen, aus Nachlässigkeit sein Kostüm nicht mehr finden kann und darum eines Tags nicht mehr aufgefordert wird. Wenn ich vor einer mir noch bekannten Wohnungstür in Wien stehe, weil ich vielleicht verabredet bin, fällt es mir im letzten Moment ein, daß ich mich in der Tür geirrt haben könnte oder doch im Tag und in der Stunde, und ich kehre um und fahre zurück in die Ungargasse, zu rasch ermüdet, zu sehr im Zweifel.
    Malina fragt: Hast du nie daran gedacht, welche Mühe die anderen sich oft mit dir gegeben haben? Ich nicke dankbar. O ja, sie haben mir sogar Eigenschaften gegeben, auch diese Mühe haben sie nicht gescheut, sie haben mich mit Geschichten versehen, außerdem aber auch mit etwas Geld, damit ich in Kleidern herumlaufen kann, die Reste aufessenkann, damit es weitergeht mit mir und nicht auffällt, wie es weitergeht. Zu rasch ermüdet kann ich mich ins Café Museum setzen und in Zeitungen und Zeitschriften blättern. Es kommt wieder Hoffnung in mir auf, ich bin angeregt, aufgeregt, denn es gibt jetzt zweimal in der Woche einen Direktflug nach Kanada, mit der Quantas geht es bequem nach Australien, die Großwildjagden werden billiger, Doro-Kaffee aus den

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