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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Katastrophen, du bist auch nicht besser als ich. Wahrscheinlich aber ist es ein unglaublicher Betrug.
    Da Malina kein Wort verstanden hat, ich im Schaukelstuhl wippe und er es sich gemütlich macht, nachdem er uns etwas zu trinken geholt hat, fange ich an zu erzählen:
    Es ist ein unglaublicher Betrug, ich habe einmal im Nachrichtendienst gearbeitet, ich habe den Betrug aus der Nähe gesehen, die Entstehung der Bulletins, das wahllose Zusammensetzen der aus den Fernschreibern herausquellenden Sätze. Ich sollte eines Tages, weil jemand erkrankt war, in den Nachtdienst hinüberwechseln. Um elf Uhr abends holte mich ein großes schwarzes Auto ab, der Chauffeur machte einen kleinen Umweg im III . Bezirk, und in der Nähe der Reisnerstraße stieg ein junger Mann zu, ein gewisser Pittermann, wir wurden in die Seidengasse gefahren, in der alle Büros dunkel und verlassen waren. Auch in den Nachtredaktionen der Zeitungen, die im selben Haus untergebracht waren, zeigte sich nur selten jemand. Über Bretter, weil die Gänge aufgerissen waren, führte uns der Nachtportier zu den hintersten Räumen, ineinem Stockwerk, das ich vergessen habe, ich erinnere mich nicht, erinnere nichts ... Wir waren jede Nacht zu viert, ich kochte Kaffee, manchmal ließen wir uns ein Eis holen um Mitternacht, der Nachtportier wußte eine Quelle für Eis. Die Männer lasen in den Bögen, die die Fernschreiber ausspuckten, sie schnitten aus, sie klebten und stellten zusammen. Wir flüsterten nicht eigentlich, aber laut zu reden in der Nacht, wenn alles schläft in einer Stadt, ist fast unmöglich, es gab manchmal wohl ein Gelächter zwischen den Männern, aber ich trank meinen Kaffee still für mich und rauchte, sie warfen mir die Nachrichten auf meinen kleinen Tisch mit der Schreibmaschine herüber, von einer zufälligen Laune ausgewählte Nachrichten, und ich schrieb sie ins reine. Ich bin damals, weil ich über nichts mitzulachen wußte, völlig ins Bild gekommen darüber, was am nächsten Morgen die Menschen als Nachricht aufweckt. Am Ende schlossen die Männer immer mit einem kurzen Absatz, der ein Baseballspiel oder einen Boxkampf betraf, von jenseits des Atlantik.

    Malina: Wie hast du damals gelebt?
    Ich: Gegen drei Uhr früh wurde mein Gesicht immer grauer, langsam bin ich verfallen, es hat mich gebeugt, ich bin damals gebeugt worden, ich habe einen sehr wichtigenRhythmus verloren, man gewinnt ihn nie mehr wieder. Ich habe noch einmal einen Kaffee getrunken, wieder einen, ich fing immer öfter zu zittern an mit der Hand beim Schreiben, und später habe ich meine Handschrift ganz verdorben.
    Malina: Darum bin ich wohl der einzige, der sie noch lesen kann.
    Ich: Der zweite Teil der Nacht hat mit dem ersten Teil der Nacht nichts zu tun, es sind zwei verschiedene Nächte in einer Nacht untergebracht, die erste Nacht mußt du dir launig vorstellen, es werden noch Witze gemacht, die Finger drücken schnell auf die Tasten, jeder ist noch in Bewegung, die zwei kleinen schlanken Eurasier kommen sich gescheiter und extravaganter vor als der umständliche Herr Pittermann, der sich nur plump und laut zu bewegen weiß. Wichtig ist die Bewegung, denn man könnte sich vorstellen, daß anderswo in der Nacht noch getrunken und gebrüllt wird oder daß aus dem Überdruß des Tages und dem Ekel vor dem kommenden Tag noch Umarmungen möglich sind oder daß bis zur Erschöpfung getanzt wird. In der ersten Nacht ist es noch der Tag mit seinen Ausschweifungen, der die Nachtbestimmt. Erst in der zweiten Nacht fällt dir auf, daß es Nacht ist, es sind alle stiller geworden, hin und wieder ist einer aufgestanden, um sich zu strecken, um sich heimlich eine andere Bewegung zu verschaffen, obwohl wir doch ausgeschlafen angekommen waren im Nachrichtendienst. Gegen fünf Uhr früh war es entsetzlich, jeder gebeugt von einer Last, ich ging mir die Hände waschen und rieb mir die Finger mit dem alten schmutzigen Handtuch. Das Gebäude in der Seidengasse hatte die Unheimlichkeit eines Mordschauplatzes. Wo ich Schritte hörte, waren dann doch keine Schritte, die Fernschreiber stockten, ratterten wieder, ich rannte zurück in unser großes Zimmer, in dem die Ausdünstung schon zu spüren war, selbst durch den Qualm vom Zigarettenrauchen. Es war der Anfang der Übernächtigkeit. Um sieben Uhr früh grüßten wir einander kaum beim Auseinandergehen, ich stieg mit dem jungen Pittermann in das schwarze Auto, wir sahen wortlos aus dem Fenster. Frische Milch und frische Semmeln

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