Malina
wurden von den Frauen getragen, die Männer hatten einen zielsicheren Schritt, Aktentaschen unter dem Arm, aufgestellteMantelkragen und eine kleine morgenfrühe Wolke vor dem Mund. Wir drinnen in der Limousine hatten schmutzige Fingernägel und jeder hatte einen bitteren bräunlichen Mund, der junge Mann stieg wieder in der Nähe der Reisnerstraße aus und ich in der Beatrixgasse. Am Geländer zog ich mich hinauf bis zur Wohnungstür und fürchtete, im Vorzimmer die Baronin zu treffen, die um diese Zeit aus dem Haus ging, in das städtische Fürsorgeamt, denn sie mißbilligte mein mysteriöses Heimkommen um diese Stunde. Danach konnte ich lange nicht einschlafen, ich lag angezogen, übelriechend auf dem Bett, gegen Mittag fand ich aus den Kleidern heraus und schlief dann wirklich, aber es war kein guter Schlaf, weil die Tagesgeräusche ihn dauernd unterbrachen. Das Bulletin zirkulierte bereits, die Nachrichten wirkten schon, ich habe sie niemals gelesen. Zwei Jahre lang war ich ohne Nachrichten.
Malina: Du hast also nicht gelebt. Wann hast du versucht zu leben, worauf hast du gewartet?
Ich: Höchst Ehrenwerter Malina, es muß auch ein paar Stunden und einen freien Tag in der Woche gegeben haben, für geringfügige Unternehmungen. Aber ich weiß nicht, wie man den ersten Teil seines Lebens lebt, er muß sein wie der erste Teil der Nacht, mit launigen Stunden, ich kann sie nur schwer zusammensuchen, da mir damals der Verstand gekommen ist, das muß den Rest meiner Zeit beansprucht haben.
Mir graute vor dem großen schwarzen Auto, das mich denken ließ an geheimnisvolle Fahrten, an Spionage, an unheilvolle Verwicklungen, es gingen damals immer Gerüchte durch Wien, daß es ein Umschlagplatz wäre, daß ein Menschenhandel getrieben würde, daß, in Teppiche gewickelt, Menschen und Papiere verschwänden, daß jeder, auch ohne es zu wissen, für irgendwelche Seiten tätig wäre. Von keiner Seite gab sich etwas zu erkennen. Jeder, der arbeitete, war, ohne es zu wissen, ein Prostituierter, wo habe ich das schon einmal gehört? warum habe ich darüber gelacht? Es war der Anfang einer universellen Prostitution.
Malina: Du hast mir das einmal ganz anders erzählt. Nach der Universität hättest du in einem Büro eine Arbeit gefunden, es reichte gerade so, aber doch nicht ganz, und deswegen bist du später in den Nachtdienst gegangen, weil es etwas mehr Geld gab als für einen Tagdienst.
Ich: Ich erzähle nicht, ich werde nicht erzählen, ich kann nicht erzählen, es ist mehr als eine Störung in meiner Erinnerung. Sag mir lieber, was hast du heute getan in deinem Arsenal?
Malina: Nichts Besonderes. Das übliche, und dann sind Leute vom Film gekommen, die brauchen eine Türkenschlacht. Der Kurt Swoboda sucht Vorlagen, er hat einen Auftrag. Außerdem haben wir noch für einen anderen Film zugesagt, den wollen die Deutschen in der Ruhmeshalle drehen.
Ich: Ich würde gerne einmal zuschauen beim Filmen. Oder in der Statisterie mitmachen. Würde mich das nicht zur Abwechslung auf andre Gedanken bringen?
Malina: Es ist nur langweilig, es dauert stundenlang, tagelang, man stolpert über Kabel, alle stehen herum, und es geschieht meistens überhaupt nichts. Ich habe am Sonntag Dienst. Ich sage es nur, damit du dich einrichtest.
Ich: Wir können also essen gehen, ich bin aber noch nicht fertig. Bitte, laß mich noch einmal telefonieren, es dauert nur einen Moment. Einen Moment, ja?
Es ist eine Störung in meiner Erinnerung, ich zerbreche an jeder Erinnerung. In den Ruinen war damals gar keine Hoffnung, das hat man einander eingeredet, nachgeredet, man hat es mit Darstellungen versucht von einer Zeit, die man die erste Nachkriegszeit nannte. Von einer zweiten hörte man nie etwas. Auch das war ein Betrug. Ich habe mir beinahe auch weismachen lassen, wenn die Türstöcke und Fensterstöcke erst wieder eingesetzt werden, wenn die Schutthaufen verschwinden, dann wird sogleich etwas besser werden, man wird wieder wohnen und weiter wohnen können. Aber allein die Tatsache, daß ich jahrelang etwas über das Wohnen und Weiterwohnen sagen wollte, wie unheimlich es mir war, obwohl niemand Lust hatte, mir zuzuhören, ist ja recht aufschlußreich. Niemals hätte ich gedacht, daß zuerst alles geplündert, gestohlen, verhandelt und dreimal ums Eck wieder verkauft und erkauft werden muß. Am Resselpark soll der größte Schwarzmarkt gewesen sein, man mußte weit ausweichen, schon am späten Nachmittag, auf den Karlsplatz, vieler Gefahren
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