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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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dann weiterleben irgendwo, so wie auch ich irgendwo weiterlebe, bedeckt von allen möglichen Blessierungen.
    Unter den Männern in Paris, aber ich weiß nicht, ob es der in der Nacht aufgewachte war, hieß einer Marcel, nur sein Name blieb mir in Erinnerung, ein Stichwort neben anderen Stichworten wie Rue Monge, wie zwei oder drei Hotelnamen und die Zimmernummer 26 . Von Marcel aber weiß ich, daß er nicht mehr lebt, und er ist auf eine ungewöhnliche Art gestorben ...
    Malina unterbricht mich, er schützt mich, aber ich glaube, sein Beschützenwollen führt dazu, daß ich nie zum Erzählen kommen werde. Es ist Malina, der mich nicht erzählen läßt.

    Ich: Du glaubst, daß sich an meinem Leben nichts mehr ändern wird?
    Malina: Woran denkst du wirklich? An Marcel, oder doch immer nur an das Eine oder an alles, was dich aufs Kreuz gelegt hat.
    Ich: Was soll das jetzt wieder mit dem Kreuz? Seit wann gebrauchst du Redensarten wie alle anderen?
    Malina: Bisher hast du noch immer ganz gut verstanden, mit oder ohne Redensarten.
    Ich: Gib mir die Zeitung von heute. Du hast mir die ganze Geschichte verdorben, du wirst es noch bereuen, daß du das sehr wunderliche Ende von Marcel nicht erfahren hast, denn außer mir könnte es heute schon niemand mehr erzählen. Die anderen leben ja irgendwo oder sind irgendwo gestorben. Vergessen ist Marcel sicherlich.
    Malina hat mir die Zeitung herübergereicht, die er manchmal aus dem Museum mitbringt. Ich überschlage die ersten Seiten und schaue ins Horoskop. ›Mit etwas mehr Mut können Sie die aufkommenden Schwierigkeiten meistern. Achtung im Straßenverkehr. Schlafen Sie ausgiebig.‹ In Malinas Horoskop steht etwas von Herzensangelegenheiten, die einen stürmischen Verlauf nehmen, aber das dürfte ihn kaum interessieren. Außerdem soll er seine Bronchien schonen. Ich habe nie daran gedacht, daß Malina Bronchien haben könnte.

    Ich: Was machen denn deine Bronchien? Hast du überhaupt Bronchien?
    Malina: Warum nicht? Wieso nicht? Jeder Mensch hat Bronchien. Seit wann bist du um meine Gesundheit besorgt?
    Ich: Ich frage ja bloß. Wie war es denn heute, ist es sehr stürmisch zugegangen?
    Malina: Wo? Doch wohl nicht im Arsenal. Nicht daß ich wüßte. Ich habe Akten abgelegt.
    Ich: Nicht ein bißchen stürmisch? Vielleicht, wenn du genau nachdenkst, war es ein klein wenig stürmisch.
    Malina: Warum siehst du mich so mißtrauisch an? Glaubst du mir nicht? Das ist doch einfach lächerlich, und was starrst du immerzu vor dich hin, was siehst du? Hier ist keine Spinne und keine Tarantel, den Fleck hast du selber vor ein paar Tagen gemacht, beim Kaffeeeingießen. Was siehst du?
    Ich sehe, daß auf dem Tisch etwas fehlt. Was ist es bloß? Hier ist sehr oft etwas gelegen. Hier ist fastimmer eine halbvolle Zigarettenschachtel von Ivan gelegen, der immer eine absichtlich vergessen hat, um notfalls bei mir sofort eine Zigarette zu finden. Ich sehe, daß hier schon längere Zeit von ihm kein Paket mehr vergessen worden ist.

    Ich: Hast du dir nie überlegt, daß man auch woanders wohnen könnte? Mehr im Grünen. Zum Beispiel ist in Hietzing bald eine sehr schöne Wohnung frei, die Christine weiß es von Freunden, deren Freunde dort wegziehen. Du hättest mehr Platz für deine Bücher. Hier ist doch überhaupt kein Platz mehr, es quillt doch aus allen Regalen, wegen deiner Manie, ich habe ja nichts gegen deine Manie, aber es ist manisch. Und behauptet hast du auch, daß du den Katzenurin von Frances und Trollope noch immer riechst im Gang. Lina sagt, sie merke nichts mehr, aber es ist eben deine Sensibilität, du bist eben sehr sensibel.
    Malina: Ich habe kein Wort verstanden. Warum sollen wir auf einmal umziehen nach Hietzing? Nie wollte einer von uns in Hietzing oder auf der Hohen Warte oder in Döbling wohnen.
    Ich: Bitte nicht Hohe Warte! Ich habe Hietzinggesagt. Mir war so, als hättest du nie etwas gegen Hietzing gehabt!
    Malina: Das ist doch eins wie das andere, und es kommt überhaupt nicht in Frage. So fang doch nicht gleich zu weinen an.
    Ich: Ich habe kein Wort von der Hohen Warte gesagt, und bilde dir nicht ein, daß ich zu weinen anfange. Ich habe einen Schnupfen. Ich muß ausgiebiger schlafen. Wir bleiben selbstverständlich in der Ungargasse. Es kommt gar nichts anderes in Frage.
    Worauf ich heute Lust hätte? Laß mich überlegen! Ausgehen will ich nicht, lesen oder Musik hören möchte ich auch nicht. Ich glaube, ich werde mit dir vorliebnehmen. Ich werde dich aber

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