Malina
wegen. Eines Tages soll angeblich kein schwarzer Markt mehr existiert haben. Aber ich bin davon nicht überzeugt. Einuniverseller schwarzer Markt ist daraus entstanden, und wenn ich mir Zigaretten kaufe oder Eier hole, weiß ich, aber erst heute, sie kommen von dem schwarzen Markt. Der Markt überhaupt ist schwarz, so schwarz kann er damals gar nicht gewesen sein, weil ihm eine universelle Dichte gefehlt hat. Später, nachdem alle Auslagen wieder voll waren und alles sich stapelte, die Konserven, die Kisten, die Kartons, konnte ich nichts mehr kaufen. Kaum war ich hineingegangen in die großen Kaufhäuser auf der Mariahilfer Straße, zu Gerngroß etwa, wurde mir übel, damals hatte mir Christine geraten, nicht in die kleinen teuren Geschäfte zu gehen, Lina war für Herzmansky, nicht so sehr für Gerngroß, und ich versuchte es ja, aber es ging nicht, ich kann nicht mehr als ein Ding auf einmal sehen. Tausende von Stoffen, Tausende von Konservendosen, von Würsten, von Schuhen und Knöpfen, diese ganze Anhäufung von Waren, machen die Ware schwarz vor meinen Augen. In einer großen Zahl ist alles zu sehr bedroht, eine Menge muß etwas Abstraktes bleiben, muß eine Formel aus einer Lehre sein, etwas Operables, muß die Reinheit der Mathematik haben, nur die Mathematik läßt die Schönheit von Milliarden zu, eine Milliarde Äpfel aber ist ungenießbar, eine Tonne Kaffee spricht schon von zahllosen Verbrechen, eine Milliarde Menschen ist etwas unvorstellbar Verdorbenes, Erbärmliches, Ekliges, ineinen schwarzen Markt Verstricktes, mit dem täglichen Bedürfnis nach Milliarden von Broten, Erdäpfeln und Reis-Rationen. Auch als es längst genug zu essen gab, konnte ich noch lange nicht richtig essen, und ich kann jetzt auch nur essen, wenn jemand anderer mit mir ißt, oder allein, wenn nur ein Apfel daliegt und ein Stück Brot, wenn eine Scheibe Wurst übriggeblieben ist. Es muß etwas übriggeblieben sein.
Malina: Dann bekommen wir heute abend wohl kaum mehr etwas zu essen, wenn du nicht aufhörst, darüber zu reden. Ich könnte mit dir auf den Cobenzl fahren, steh auf, zieh dich an, es wird sonst zu spät.
Ich: Bitte nicht dort hinauf. Ich will nicht zu Füßen die Stadt, was brauchen wir gleich eine ganze Stadt zu Füßen zu haben, wenn wir nur essen wollen. Gehen wir ein paar Schritte. Zum Alten Heller.
Schon damals, in Paris, nach der ersten Flucht aus Wien, hatte es angefangen, mit dem linken Fuß konnte ich vorübergehend nur schlecht auftreten, er schmerzte, und der Schmerz wurde von einem Stöhnen begleitet, ach Gott, o Gott. So kommt esoft im Körper zuerst zu diesen gefährlichen, folgenreichen Anwandlungen, die einen gewisse Worte aussprechen lassen, denn vorher hatte ich nur in einigen philosophischen Seminaren eine begriffliche Bekanntschaft mit Gott gemacht, wie mit dem Sein, dem Nichts, der Essenz, der Existenz, dem Brahma.
In Paris hatte ich meistens kein Geld, aber immer, wenn das Geld zu Ende ging, mußte ich damit etwas Besonderes machen, auch heute übrigens noch, es darf nicht einfach ausgegeben werden, sondern ich muß einen abschließenden Einfall haben, wie es auszugeben ist, denn wenn mir etwas einfällt, dann weiß ich einen Augenblick lang, wie ich die Welt mitbevölkere und der Teil einer ständig stark zunehmenden, leicht abnehmenden Bevölkerung bin, und wie die Welt, überfüllt mit einer bedürftigen Bevölkerung, einer nicht satt zu bekommenden, immer im Notstand lebenden Bevölkerung, sich durch das All dreht, und wenn ich auf ihr, mit einer leeren Tasche und mit einem Einfall im Kopf, hänge durch die Schwerkraft, weiß ich, was zu tun ist.
Damals, in der Nähe der Rue Monge, auf dem Weg zur Place de la Contrescarpe, kaufte ich in dem kleinen Bistro, das die ganze Nacht auf hatte, zwei Flaschen Rotwein, aber dann auch noch eine Flasche Weißwein. Ich dachte, vielleicht mag einer keinenRotwein, man kann schließlich niemand zu Rotwein verurteilen. Die Männer schliefen oder taten, als schliefen sie, und ich schlich zu ihnen hin und legte die Flaschen nieder, nahe genug, daß ein Irrtum ausgeschlossen war. Sie mußten verstehen, daß sie rechtens ihnen gehörten. In einer anderen Nacht, als ich es wieder tat, wachte einer der clochards auf und sagte etwas von Gott, ›que dieu Vous ...‹, und später hörte ich in England etwas wie ›... bless you‹. Die Zusammenhänge habe ich natürlich vergessen. Ich nehme an, daß die Blessierten manchmal so zu den Blessierten sprechen und
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