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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Erez-Israel. Schlimmer als hier konnte es dort auch nicht sein, obwohl ihr dieses Gerede vom Judenstaat und dem Land der Väter eher auf die Nerven ging. Mein Vater ist aus Krakau, mein Großvater aus Skawina, und wo mein Urgroßvater geboren ist, weiß ich schon nicht mehr, nur dass es ein Ort in Polen war. Aber egal, wie man es auch betrachtete, wenn sie damals mit Issi nach Erez-Israel gefahren wäre, als er sie darum gebeten hatte, hätte sie Malka jetzt bei sich, dann wäre das alles nicht passiert. Issi hatte ein Zertifikat der Engländer gehabt, er hätte sie und die Kinder mitnehmen können. Doch damals hatte sie nicht geglaubt, dass Hitler Polen überfallen würde. Oder sie hatte es nicht glauben wollen, weil sie die Vorstellung erschreckt hatte, mit Issi als Mann und Frau zusammenzuleben. Und jetzt war es zu spät.
    Hanna lief durch die Straßen. Sie stand stundenlang am Bahnhof und wartete, ob ein Zug kam, und wenn einer einfuhr, rannte sie den Bahnsteig entlang und betrachtete alle Leute, die ausstiegen. Manchmal sah sie von weitem den blonden Kopf eines Kindes und lief erwartungsvoll hin, doch jedes Mal wurde sie enttäuscht. Malka kam nicht.
    In der dritten Nacht schlief Hanna wie eine Tote, nachdem sie beschlossen hatte, am nächsten Tag mit dem Zug nach Pilipiec zu fahren und Malka zu holen, egal, wie gefährlich das war.
    Doch am nächsten Morgen, es war noch dunkel, kam der Führer in aller Frühe und drängte zum Aufbruch. Schlaftrunken sprangen alle von den Betten und suchten ihre Sachen zusammen, nur Hanna nicht.
    »Ich komme nicht mit«, sagte sie. »Ich fahre nach Pilipiec, ich muss Malka holen.«
    »Und was ist mit Minna?«, fragte Schmuel Wajs. »Frau Doktor, nehmen Sie doch Vernunft an.«
    Auch die anderen redeten auf sie ein. Von Budapest aus könne sie an Kopolowici schreiben, und wenn sie sich erst einmal falsche Papiere besorgt habe, könne sie sogar mit dem Zug fahren, um Malka zu holen.
    Hanna fühlte sich hin-und hergerissen. Sie schaute Minna an, das Mädchen senkte den Kopf und weinte. Da beschloss Hanna, mit der Gruppe weiterzuziehen. Egal, was sie tat, es war falsch. Man lässt einen Menschen in Not nicht im Stich. Aber was tat man, wenn es zwei Menschen gab, den einen hier und den anderen dort?
    Die Tage gingen vorbei . Morgens, in aller Herrgottsfrühe, wenn gerade die Fensterkreuze der Häuser auf der anderen Straßenseite zu erkennen waren, verließ Malka den Keller und kam erst zurück, wenn es schon dunkel war. Sie wollte nicht gesehen werden, weil sie Angst hatte, jemand könne ihr das Versteck streitig machen. Und einen anderen Zugang als das Fenster gab es nicht. Natürlich war da noch die Tür, die zu den anderen Kellerräumen führte, aber sie war abgeschlossen.
    Anfangs hatte Malka überlegt, ob sie sie aufbrechen könnte, sich so lange dagegen werfen oder dagegen treten, bis das Schloss kaputtging, aber sie hatte sich entschieden, es gar nicht erst zu versuchen. Sie brauchte die Tür als Schutz gegen den bedrohlichen Rest des Hauses, gegen all die Leute, die hier wohnten, die Zugang zum Keller hatten und sie vertreiben könnten. Die nichts von ihr wussten und auch nichts wissen sollten. Der Keller war ihr Zuhause, ihre Festung gegen die Schrecken der Nacht.
    Morgens ging sie nach dem Aufstehen immer erst zum Brunnen und wusch sich in dem Becken die Hände und das Gesicht. In den ersten Tagen hatte sie noch versucht, sich den Kohlenstaub aus dem Mantel und der Hose zu klopfen, aber das tat sie schon lange nicht mehr, wozu auch, ihr war es egal, wie sie aussah, wer schaute sie schon an, sie war ja allein. Waschen war etwas anderes, Waschen war hygienisch, das hatte die Frau Doktor immer gesagt. Wenn sie sich einigermaßen sauber fühlte, machte sich Malka auf den Weg durch das Ghetto. Mittlerweile waren ihre Stiefel weiter geworden, sie passten ihr auch mit Socken, das war angenehm, weil ihre Füße wärmer blieben.
    Sie wusste inzwischen, dass sie nicht die Einzige war, die allein lebte, es gab noch viele andere, sie erkannte das daran, dass sie immer wieder dieselben Gesichter sah, Leute, die so wie sie auf dem Platz vor dem Brunnen oder vor den Geschäften standen und bettelten. Sie hatten keine Familie. Sie hatten keinen Tisch, auf den eine Frau einen Topf mit Essen stellte. Sie hatten, so wie sie, bestimmt auch keinen Topf, in dem sie Essen kochen konnten.
    Sie kannte schon jede Straße, jede Gasse, jeden Hof, jedes Plumpsklo und jeden Durchgang. Das war wichtig,

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