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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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sagte etwas, die Frau lachte.
    Malka stand auf und folgte den beiden. Sie gingen die Hauptstraße entlang, bogen in die Straße mit dem Holztürmchen ein, dann in die erste Gasse rechts. Die Frau hatte ein langes, weites Kleid an, ihr Rock wippte beim Gehen. Das Mädchen an ihrer Seite trug ein blaues Kleid und braune lange Strümpfe. Wenn sie etwas zu ihrer Mutter sagte, drehte sie den Kopf, so dass Malka ihr Profil mit dem feinen Näschen sehen konnte. Aber was die Kleine sagte, konnte sie nicht verstehen, noch nicht einmal, welche Sprache sie sprach, der Wind wehte ihre Worte weg, bevor sie an Malkas Ohr dringen konnten.
    Die beiden betraten ein schmales, zweistöckiges Haus mit einem kleinen Vorgarten, einen Moment lang zeichneten sich ihre Gestalten deutlich gegen den dunklen Flur ab, dann fiel die Tür hinter ihnen zu.
    Malka blieb stehen und starrte die Tür an, lange, ohne sich zu bewegen, ohne zu denken. Als könne sie mit der Kraft ihres Blickes die Tür wieder öffnen. Nichts passierte. Malka überquerte die Straße und setzte sich vor dem Haus gegenüber auf den Boden. Ihr Blick war auf die Fenster des Hauses auf der anderen Straßenseite gerichtet, hinter einem von ihnen musste die Frau sein. Es waren vier Fenster, je eines neben der Haustür und zwei weitere im ersten Stock. Der kleine Vorgarten war von Unkraut überwuchert, an einer Seite wuchs ein mageres, blattloses Bäumchen.
    Malka hatte die ganzen letzten Tage nicht mehr an Teresa gedacht, doch nun war die Erinnerung an sie da, so klar, dass es wehtat. Teresa stand in der Küche, schälte Kartoffeln, putzte Karotten und schnitt Lauch und Zwiebeln für eine Suppe. Die Suppe roch wunderbar. Antek spielte auf dem Boden mit dem Stoffball, den Malka für ihn gemacht hatte, Zygmunt, Marek und Julek saßen am Tisch. Wie schön wäre es doch, wenn Malka jetzt da wäre, sagte Teresa zu Zygmunt, als sie einen Teller mit dampfender Suppe vor ihn auf den Tisch stellte. Er fing an zu essen und sagte zwischen zwei Löffeln: Du weißt doch, die Deutschen. Julek rümpfte seine kleine Nase, die so aufgestülpt war, dass man seine Nasenlöcher sehen konnte, und verkündete: Wenn ich groß bin, jage ich die Deutschen fort und dann kann Malka wiederkommen. Schade, dass es so lange dauert, bis du groß bist, antwortete Teresa. Und Zygmunt schickte Marek hinaus, damit er die Ziegen von der Wiese in den Stall brachte, wo Teresa sie melken würde. Und beim Melken würde sie singen.
    Malka sah einen Schatten hinter dem Fenster rechts neben der Haustür vorbeigehen. Der Schatten blieb nicht stehen, um aus dem Fenster zu schauen und um Malka zu betrachten. Vielleicht beim nächsten Mal, dachte sie und fing an, ihre Zöpfe aufzuflechten. Ihre Haare waren ein bisschen verfilzt, aber sie waren schön, das wusste sie, die Frau Doktor, in deren Haus sie einmal gelebt hatte, hatte es ihr oft genug gesagt. Die schönsten Haare der Familie, hatte sie gesagt, nicht weißblond, nicht flachsblond und nicht rötlich, eine Farbe wie Gold.
    Malka senkte den Kopf und die Haare fielen ihr wie ein Vorhang vor das Gesicht. Sie dachte an den Tag, an dem die Frau Doktor sie mitgenommen hatte zur deutschen Militärverwaltung, wo sie eine Umzugsgenehmigung für den Großvater besorgen wollte, damit er zu ihnen ziehen könne. Bevor sie in die Straße einbogen, wo sich das Gebäude der Deutschen befand, war die Frau Doktor plötzlich stehen geblieben und hatte ihr die Zöpfe aufgemacht. Sie hatte ihr befohlen, ein paar Mal den Kopf zu schütteln, und war ihr mit sanften Fingern durch die Haare gefahren. »Sie sollen sehen, wie schön du bist«, hatte sie gesagt. Und der deutsche Offizier hatte ihnen tatsächlich eine Umzugsgenehmigung für den Großvater ausgeschrieben, aber der war dann doch nicht gekommen, weil er bei Tante Golda bleiben wollte.
    Malka hob den Kopf, schüttelte ihre Haare und blickte hinüber zur anderen Seite. Das Haus verschwamm vor ihren Augen, die Fenster wurden zu dunklen Löchern, der Vorgarten verzerrte sich, das Unkraut wuchs zu einem Wald und die Tür ging auf, Teresa trat heraus, kam mit leichten Schritten und wippendem Rock auf Malka zu, zog sie hoch und sagte mit dieser fröhlichen Stimme, die Malka fast vergessen hätte: Komm rein, ich habe Suppe gekocht, ich weiß doch, wie gern du Suppe isst.
    Malka wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg. Das Haus war wieder klar und abweisend. Teresa, oder die Frau, die wie Teresa aussah, ließ sich nicht blicken,

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