Malka Mai
bewacht, Kartoffeln und Gemüse wuchsen. An jenem Tag hatte in einem der Gärten ein Mann Kartoffeln ausgemacht, ein zweiter Rüben. Zwei Frauen hatten zugeschaut, eine der Frauen hatte einen Säugling auf dem Arm gehabt. Malka war klar, dass die Juden, die jetzt ernteten, andere Juden waren als jene, die im Frühling den Garten angelegt und Kartoffeln und Gemüse gepflanzt hatten, denn dazwischen lag die Aktion.
Malka hatte am Zaun gestanden und zugeschaut, bis der Mann, der Rüben ausmachte, zu ihr kam, ihr mit bösem Gesicht eine Rübe in die Hand drückte und sagte, sie solle endlich verschwinden. Die Rübe hatte bitter geschmeckt, aber Malka hatte lange Zeit etwas zum Kauen gehabt. Und noch immer konnte sie, wenn sie die Augen schloss, das Bild vor sich sehen, so deutlich, so lebendig, dass sie den dumpfen Geruch der Erde und den bitteren des dürren Krauts roch. Der Mann bei den Kartoffeln stieß seinen Spaten in den Boden, drückte den Stiel so tief nach unten, dass die Erde samt der vertrockneten Pflanze angehoben wurde, und drehte den Spaten mit einem Schwung um. Die Erde fiel neben das Loch und die Kartoffeln rollten rund und goldfarben heraus. Der Mann bückte sich, wühlte in dem lockeren Haufen, suchte jede einzelne Kartoffel heraus und legte sie in einen Sack. Dann schüttelte er die Pflanze, an deren Wurzeln manchmal noch ein oder zwei winzige Kartoffeln hingen. Auch diese packte er ein. Der Sack war halb voll gewesen, als der andere Mann Malka verjagte hatte.
Es gab auch einen Ei-Tag, an den Malka allerdings nur mit einem leichten Unbehagen dachte. Eine Frau hatte auf dem Platz vor dem Brunnen gesessen, auf einem Hocker, vor sich einen Korb mit Eiern. Malka hatte sie lange beobachtet, dann hatte sie sich unauffällig hinter eine Kundin geschoben, die gerade drei Eier kaufte. Als die Kundin eine Hand voll Münzen herausnahm, um zu bezahlen, hatte sich Malka gebückt, an den Beinen der Frau vorbeigegriffen und ein Ei aus dem Korb genommen, dann war sie losgerannt.
Sie hatte sich nicht umgesehen, wusste nicht, ob jemand sie verfolgte, sie war immer weiter gerannt, durch mehrere Höfe und verschiedene Gassen, bis sie über einen Umweg das Haus der Goldfadens erreichte. Dort erst hatte sie sich auf den Boden gesetzt und das Ei, das zum Glück heil geblieben war, aus der Manteltasche gezogen. Mit einem spitzen Stein hatte sie versucht, ein Loch hineinzubohren, aber es war ihr nicht gelungen. Erst als sie das Ei vorsichtig angeschlagen hatte, bis es einen Sprung hatte, konnte sie ein Stück Schale herausbrechen und das Ei austrinken, so wie Zofia es früher gemacht hatte, damit sie das Ei aussaugen konnte.
Malka spürte, wie ihre Knie weich wurden, ihr Magen schmerzte vor Hunger. Aber das war ihre Schuld, sie hatte doch wieder an Essen gedacht. Dabei wurde es schon dunkel. Dies war ein »anderer« Tag. Bevor sie sich auf den Heimweg machte, ging sie noch zum Brunnen und trank, unterwegs suchte sie ein Klo auf und pisste. Zum Glück musste sie nicht kacken.
Das letzte Stück Weg nach Budapest legten sie in einem Lastwagen zurück, versteckt unter leeren Säcken, die nach Heu rochen. Hanna hatte den Geruch früher geliebt, aber jetzt war er zu sehr mit Flucht verbunden, mit Erschöpfung und Wegsacken wie eine Tote. Sie sehnte sich nach anderen Gerüchen, nach Sauberkeit, nach Seife und Desinfektionsmittel. Der Heugeruch bereitete ihr Übelkeit.
»Es riecht wie früher in Lawoczne«, flüsterte Minna ihr zu. »Weißt du noch, wie es immer gerochen hat, wenn die Bauern das Gras gemäht hatten?«
Hanna drückte Minnas Schulter, um ihr zu zeigen, dass sie wusste, was Minna meinte. Aber sie wollte nicht an Lawoczne denken. Sie wollte überhaupt nicht denken. Dass sie sich auf dem Lastwagen nicht bewegen konnte, fiel ihr schwer, sie fühlte sich ausgeliefert wie ein kleines Kind, es kribbelte in ihren Händen und Füßen, sie musste sich gewaltsam bemühen, nicht laut zu schreien. Jede Anstrengung, jede Strapaze wäre ihr lieber gewesen als dieses hilflose Liegen. Bewegungslosigkeit bedeutete Tod. Sie fing an zu zittern, es war wie ein Krampf, der irgendwo in ihr begann, in ihrer Mitte, und sich über den ganzen Körper ausbreitete.
»Was hast du?«, flüsterte Minna erschrocken. »Mama, was ist mit dir?« Und als Hanna nicht antwortete, legte Minna die Arme um ihre Mutter und drückte sie an sich.
Hanna ließ es geschehen, sie konnte sich nicht wehren. Das bin ich, dachte sie. Immer in Bewegung, immer
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