Malloreon 1 - Herrn des Westens
von Cherek bei diesem traurigen Anlaß führte zu grimmigem Murren unter den rivanischen Edlen. Nur ihre tiefe Achtung für Brand und Garions eisiger Blick verhinderten, daß das Gemurmel im hinteren Teil des Saales zu offenen Anschuldigungen wurde. Anheg, der zwischen Porenn und ChoHag saß, behielt während der ganzen Feier seine steinerne Miene bei und verließ den Saal sofort nach ihrer Beendigung.
»So kenne ich ihn überhaupt nicht«, sagte Barak leise zu Garion. »Noch nie hat jemand ihn des Mordes bezichtigt, und er weiß nicht, wie er damit fertig werden soll.«
»Niemand beschuldigt ihn jetzt«, entgegnete Garion rasch.
»Dann dreht Euch mal um und seht Euch die Gesichter Eurer Untertanen an, Garion«, sagte Barak düster. »Keines, das ihn nicht anklagt!«
Garion seufzte. »Ich brauche mich nicht umzudrehen. Ich weiß genau, was sie alle denken.«
»Wann wollt Ihr mit der Sitzung beginnen?«
»Wir warten am besten noch eine Weile«, entschied Garion. »Ich möchte nicht, daß Anheg durch die Korridore der Zitadelle gehen muß, während noch diese Trauergäste mit ihren Dolchen im Gürtel hier herumirren.«
»Sehr vernünftig«, lobte Barak.
Am Nachmittag trafen sie sich in der blauen Ratskammer im Südturm. Kaum hatte Kail die Tür geschlossen, erhob sich Anheg und blickte die Anwesenden an. »Ich möchte gleich zu Beginn feststellen, daß ich absolut nichts mit dem zu tun hatte, was hier passiert ist«, erklärte er. »Brand war immer einer meiner engsten Freunde. Ich hätte mir lieber den Arm abgeschnitten, als zuzulassen, daß ihm etwas Schlimmes zustößt. Darauf gebe ich euch mein Wort – als König wie als Alorner.«
»Niemand klagt dich an, Anheg«, versicherte ihm Cho-Hag ruhig.
»Ha! Ich bin bei weitem nicht so dumm, wie ich vielleicht aussehe, Cho-Hag – und selbst wenn, hätte ich immer noch Augen und Ohren. Die Leute hier in Riva haben so gut wie alles getan, außer mir direkt ins Gesicht zu spucken!«
Der silberhaarige Graf von Seline lehnte sich zurück. »Ich glaube, dieser ganze Argwohn – völlig unbegründet natürlich – kommt durch das Schreiben, das die Meuchler bei ihrer Ankunft vorlegten. Kämen wir nicht am schnellsten voran, wenn wir mit der Begutachtung dieses Schriftstücks beginnen?«
»Keine schlechte Idee«, stimmte Garion zu. Er wandte sich an Kail. »Würdet Ihr uns dieses Schreiben zeigen?«
»Ah – der ehrwürdige Belgarath hat es, Sire«, erklärte Kail.
»Oh – das stimmt.« Belgarath nickte. »Das hätte ich fast vergessen.« Er langte in sein graues Wams, zog ein gefaltetes Pergament hervor und reichte es dem alten sendarischen Edlen.
»Es sieht echt aus«, murmelte der Graf, nachdem er es studiert hatte.
»Darf ich es sehen?« bat Anheg. Voll Abscheu hielt er das Schriftstück und runzelte die Stirn, während er es las. »Das ist meine Unterschrift«, sagte er erstaunt, »und mein Siegel. Aber ich habe dieses Schreiben ganz sicher nicht verfaßt.«
Garion kam ein Gedanke. »Liest du immer alles durch, was man dir zum Unterschreiben bringt?« fragte er. »Mir geht es jedenfalls so, daß ich manchmal, wenn man mir ganze Stöße zum vorlegt, nur meine Unterschrift auf die einzelnen Schriftstücke setze. Ich will damit sagen, es könnte doch möglich sein, daß jemand das hier zwischen andere Schriftstücke geschoben hat und du es unterzeichnet hast, ohne darauf zu achten, was es war.«
Anheg schüttelte den Kopf. »Das passierte mir einmal«, gestand er. »Seither lese ich alles, ehe ich meinen Namen darunter setze. Nicht nur das, ich diktiere alle Schriftstücke, die ich unterzeichne, selbst. Dadurch weiß ich mit Gewißheit, daß sie genau das sagen, was ich ausdrücken will.« Er schob Garion das Schreiben zu. »Sieh dir das an.« Er deutete auf den zweiten Absatz. »Insofern, als der Handel der Lebensnerv unserer beiden Reiche ist… und so weiter. Verdammt, Garion! Ich habe in meinem ganzen Leben das Wort insofern nicht benutzt!«
»Wie läßt sich dies dann in Einklang bringen?« fragte der Graf von Seline. »Wir haben die Echtheit von Unterschrift und Siegel bestätigt. König Anheg erklärt, daß er nicht nur alles liest, was er unterzeichnet, sondern daß er höchstpersönlich jedes Schreiben und jede Verkündigung diktiert. Und doch finden wir textliche Unvereinbarkeiten in diesem Schreiben.«
»Seline«, sagte Anheg abfällig, »habt Ihr Euch je mit dem Rechtswesen befaßt? Ihr hört Euch wie ein Advokat an.«
Der Graf lachte. »Ich
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