Malloreon 1 - Herrn des Westens
kalten Braten, Brot und Käse holen und den Tag im Wald verbringen.«
»Im Wald? Wozu?«
»Garion«, sagte sie fast verärgert. »Den ganzen Winter war ich in dieser gräßlichen alten Burg eingesperrt. Ich brauche frische Luft und Sonnenschein und den Duft von Bäumen und Wildblumen um mich – nicht den Modergeruch von klammem Stein.«
»Warum bittest du nicht Arell, dich zu begleiten? Ich glaube nicht, daß ich den ganzen Tag hier abwesend sein sollte.«
Sie blickte ihn verärgert an. »Du hast gerade erst gesagt, daß du nichts Wichtiges zu tun hast!«
»Man kann nie wissen. Es könnte sich jeden Augenblick etwas ergeben.«
»Es kann warten«, knirschte sie.
Garion erkannte die Sturmzeichen und antwortete so milde er konnte: »Du hast wohl recht, Liebes. Es gibt eigentlich wirklich keinen Grund, weshalb wir nicht einen kleinen Ausflug machen sollten. Wir könnten Arell und vielleicht auch Kail fragen, ob sie Lust haben mitzukommen.«
»Nein, Garion«, sagte sie fest.
»Nein?«
»Ganz bestimmt nicht!«
So kam es, daß der Rivanische König gleich nach dem Frühstück, Hand in Hand mit seiner zierlichen Königin und einem gut gefüllten Korb am Arm die breite Wiese hinter der Stadt durchquerte. Sonne und Schatten spielten um die Nadelbäume, die steil zu den glitzernden schneebedeckten Berggipfeln, dem Rückgrat der Insel, führten.
Kaum hatten sie den Wald betreten, schwand jegliche Spur von Mißmut von Ce'Nedras Gesicht. Sie pflückte Blumen, während sie zwischen den hohen Tannen und Fichten und Kiefern dahinwanderten, und flocht sie zu einem Kranz, den sie sich um den Hals hängte. Die Morgensonne fiel schräg durch die Zweige über ihnen und färbte den Moosboden mit goldenem Licht und bläulichen Schatten. Würziger Harzgeruch stieg in die Nase, und Vögel flogen zwitschernd und trillernd zwischen den hohen, säulengleichen Stämmen.
Nach einer Weile gelangten sie zu einer moosigen Lichtung, wo ein Bach fröhlich über glänzende Steine gluckerte und sich plätschernd mit einem klaren Waldteich vereinte, an dem ein Reh trank. Das Tier hob den Kopf vom Wasser, das um seine Beine wirbelte, und blickte sie mit sanften Augen furchtlos an, dann klickten seine Hufe auf den Steinen, und es verschwand im Wald.
»Oh, hier ist es genau richtig!« freute sich Ce'Nedra mit sanftem Lächeln. Sie setzte sich auf einen runden Felsbrocken und schnürte die Schuhe auf.
Garion stellte den Korb ab und streckte sich. Er spürte, wie die Sorgen der vergangenen Wochen schwanden. »Ich bin froh, daß dir dieser Gedanke gekommen ist.« Er machte es sich auf dem sonnenerwärmten Moos bequem. »Es war wirklich eine großartige Idee von dir.«
»Natürlich«, sagte sie. »Alle meine Ideen sind großartig.«
»Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde.« Da fiel ihm etwas ein. »Ce'Nedra«, sagte er.
»Ja?«
»Ich wollte dich eigentlich schon lange was fragen. Alle Dryaden haben doch einen Namen, der mit einem X beginnt, nicht wahr? Xera, Xantha – und so weiter.«
»Das ist bei uns so üblich.« Sie beschäftigte sich weiter mit ihren Schnürsenkeln.
»Warum dann deiner nicht? Ich meine, warum beginnt dein Name nicht mit einem X?«
»Tut er.« Sie schlüpfte aus einem Schuh. »Tolnedra sprechen ihn nur ein bißchen anders aus, das ist alles. Deshalb schreiben sie ihn so. Dryaden lesen und schreiben nicht viel, darum kümmern sie sich auch nicht um die Rechtschreibung.«
»X'Nedra?«
»Fast. Du mußt das X weicher aussprechen.«
»Weißt du, daß ich mir schon sehr lange darüber Gedanken gemacht habe.«
»Warum hast du mich dann nie gefragt?«
»Keine Ahnung. Ich bin wohl nie dazu gekommen.«
»Es gibt einen Grund für alles, Garion«, sagte sie. »Aber du wirst ihn nie erfahren, wenn du nicht danach fragst.«
»Jetzt hörst du dich genau an wie Tante Pol.«
»Ja, Liebes, ich weiß.« Sie lächelte, schlüpfte auch aus dem anderen Schuh und bewegte zufrieden die Zehen.
»Warum barfuß?« fragte er müßig.
»Es ist schön, das Moos an den Sohlen zu spüren – und vielleicht möchte ich gleich ein bißchen schwimmen.«
»Zu kalt. Dieser Bach kommt geradewegs von einem Gletscher.«
»Ein bißchen kaltes Wasser schadet mir nicht.« Sie zuckte die Schultern, dann stand sie auf und, wie auf eine Herausforderung hin, zog sie sich ganz aus.
»Ce'Nedra! Was ist, wenn jemand vorbeikommt?«
Sie lachte silberhell. »Na und? Ich habe nicht vor, nur der Schicklichkeit halber meine Sachen naß zu machen. Sei
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