Malory
verlegen gewesen. Die vergangenen Sünden ihres Vaters und die Erinnerung daran, was diese Sünden angerich-tet hatten, beschämten sie.
Deshalb hatte sie mit hochroten Wangen, die ihm wahrscheinlich gar nicht auffielen, gesagt: »Ich verstehe nicht, Onkel Elliott. Wer will uns denn das Haus wegnehmen? Und warum?«
Er ließ den Kopf wieder in die Hände sinken, weil er ihr vor lauter Scham nicht ins Gesicht sehen konnte, doch dann erzählte er leise und stockend die ganze Geschichte. Sie mußte sich zu ihm hinunterbeugen, um ihn zu verstehen, und dabei schlug ihr die ganze Zeit sein saurer Whiskyatem entgegen. Als er fertig war, hatte sie entsetzt und schweigend dagesessen.
Es war viel, viel schlimmer, als sie gedacht hatte, und es erinnerte sie in der Tat an die Tragödie ihrer Eltern, obwohl sie mit der Situation ganz anders umgegangen waren. Elliott allerdings besaß nicht die Charakterstärke, sein Versagen zu akzeptieren, dagegen aufzubegehren und von vorne anzufangen. Als Kelsey und Jean vor acht Monaten von Tante Elizabeth aufgenommen wurden, war Kelsey zu sehr in der Trauer um den Tod ihrer Eltern befangen gewesen, um irgend etwas anderes wahrzuneh-men. Sie hatte keinen Gedanken daran verschwendet, warum Onkel Elliott so viel zu Hause war. Wahrscheinlich hatten sie es nicht für nötig gehalten, ihren Nichten mitzuteilen, daß Elliott seine Stelle, die er zweiundzwanzig Jahre lang innegehabt hatte, verloren hatte und seitdem so durcheinander war, daß er auf keiner anderen Position besonders lange blieb. Und doch hatten sie so wei-tergelebt, als habe sich nichts geändert. Sie hatten sogar noch zwei weitere Personen in ihren Haushalt aufgenommen, die durchgebracht werden mußten, wo sie doch kaum genug für sich selbst hatten.
Kelsey fragte sich, ob Tante Elizabeth überhaupt das wahre Ausmaß ihrer Schulden kannte. Elliott hatte auf Pump gelebt, was für den Adel ganz normal war, allerdings war es ebenso normal, die Gläubiger zu bezahlen, bevor sie mit ihren Forderungen vor Gericht gingen.
Da jedoch kein Geld hereinkam, hatte Elliott schon alle seine Freunde angepumpt, um die Gläubiger in Schach zu halten. Und jetzt hatte er niemanden mehr, an den er sich wenden konnte. Die Situation war außer Kontrolle geraten.
Er würde Tante Elizabeths Haus verlieren, das Haus, das seit Generationen im Besitz von Kelseys Familie war. Tante Elizabeth hatte es geerbt, da sie die ältere Schwester war. Und die Gläubiger drohten es ihnen wegzunehmen. Sie hatten ihnen eine Frist von drei Tagen gesetzt.
Deshalb betrank sich Elliott bis zur Besinnungslosig-keit, in der Hoffnung, sich so viel Mut anzutrinken, daß er seinem Leben ein Ende setzen konnte; ihm fehlte die Energie, dem entgegenzutreten, was in den nächsten Tagen passieren würde. Es war seine Pflicht, für die Familie zu sorgen — zumindest für seine Frau —, und er hatte jämmerlich versagt.
Natürlich war auch Selbstmord keine Lösung. Kelsey wies ihn darauf hin, wieviel schlimmer es für Elizabeth wäre, wenn sie neben der Vertreibung von Haus und Hof auch noch eine Beerdigung überstehen müsse. Kelsey und Jean hatten bereits eine Vertreibung hinter sich gebracht. Aber sie konnten damals woandershin gehen.
Dieses Mal jedoch ... Kelsey durfte es einfach nicht zulassen. Sie war jetzt für ihre Schwester verantwortlich.
Sie mußte dafür sorgen, daß Jean ordentlich aufwuchs, mit einem richtigen Dach über dem Kopf. Selbst wenn das bedeutete, daß sie ..
Sie wußte nicht mehr genau, wer das Thema ihres Verkaufs eigentlich aufgebracht hatte. Elliott hatte als erster erwähnt, daß er schon einmal daran gedacht habe, sie an den aussichtsreichsten Bewerber zu verheiraten, aber er hatte schon so lange nicht mehr mit ihr über das Thema gesprochen, daß es nun zu spät war. Er hatte ihr auch erklärt, warum es zu spät war, da man etwas so Wichtiges ernsthaft bedenken müsse und nicht in ein paar Tagen erledigen könne.
Vielleicht hatte der Alkohol ihm die Zunge gelöst. Auf jeden Fall hatte er ihr erzählt, daß das gleiche vor vielen Jahren einem seiner Freunde passiert sei, daß er sein ganzes Vermögen verloren habe, seine Tochter jedoch die Familie gerettet hätte, indem sie sich an einen alten Wüstling verkaufte, der Jungfräulichkeit schätzte und bereit gewesen war, dafür außergewöhnlich viel Geld zu bezahlen.
Dann erzählte er ihr im gleichen Atemzug, daß er mit einem Gentleman, den er ziemlich gut kannte, gesprochen habe, um
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