Malory
volltrunken nach draußen wanke, irgendwo umkippe, und erst am Nachmittag wieder auftauche.
Gabrielle hatte unglaubliches Glück, dass Kapitän Brillairds Frau ihren Mann so lange beschäftigt hielt, bis der Letzte der fünf Kapitäne in den Hafen einlief und auf die Insel kam. Eines Morgens betrat er zusammen mit Kapitän Brillaird das große Haus. Obwohl die beiden Männer gerade herzlich über einen Scherz lachten, den einer von ihnen gemacht hatte, fiel Gabrielle ihm sofort auf. Er stutzte und starrte sie an, dann legte er Kapitän Brillaird den Arm um die Schulter und bot an, sie zu kaufen. Da Pierre nicht da war, konnte er auch nicht protestieren und sagen, dass er diese Idee zuerst gehabt hatte.
Denn das hätte er sicher getan, und womöglich wäre es sogar zu einem Kampf gekommen. Doch Pierre Lacross schlief noch seinen Rausch aus. Und Kapitän Brillaird schien alles recht zu sein, ganz wie Gabrielle vermutet hatte. Sie sah ihn nur die Achsel zucken, daraufhin schüttelten die beiden Männer sich die Hand und der fünfte Kapitän warf Kapitän Brillaird einen Beutel Münzen zu.
Gabrielle stand unter Schock. Alles war so schnell gegangen. Später fand sie heraus, dass der neue Kapitän ein Mittels-mann war. Es war nicht das erste Mal, dass er auf der Insel Geiseln aufkaufte, um sie mit beträchtlichem Gewinn an ihre Familien weiterzureichen. Damit war allen Seiten bestens gedient, erlaubte es doch den anderen Kapitänen, sich umgehend wieder ihrer eigentlichen Arbeit zu widmen. Der neue Kapitän war gut im Rechnen – und im Verkleiden. Fast hätte sie ihn nicht erkannt ..
»Was zum Teufel machst du hier, Gabby, und wo ist deine Mutter?«
Er hatte sie sofort aus dem Lager herausgeführt und zog sie auf dem gut ausgetretenen Pfad zur Bucht hinter sich her. Die meisten seiner Männer waren noch damit beschäftigt, das Schiff zu vertäuen, und die wenigen, die ihnen auf dem Pfad entgegenkamen, wurden ohne eine Erklärung zurück zum Schiff beordert. Als Gabrielle protestierte und erklärte, dass ihre Haushälterin auch noch befreit werden müsse, wurde ein Mann geschickt, um Margery zu holen.
Sie hatte tausend Fragen an ihren Vater, doch als sie an ihren Verlust erinnert wurde, vergaß sie alles andere. »Sie ist gestorben, Papa. Deswegen habe ich England verlassen. Ich wollte dich finden und bei dir wohnen«, sagte sie traurig.
»Aber nicht auf dieser Insel, falls du nichts dagegen hast«, setzte sie schroff hinzu.
Kapitel 3
Gabrielles Rettung hatte ihren Vater in eine höchst peinliche Lage gebracht. All die Jahre hatten sie und ihre Mutter nicht gewusst, ja nicht einmal geahnt, dass er ein derart abenteuerli-ches Leben führte. Nathan Brooks war ein Pirat. Daran musste Gabrielle sich erst einmal gewöhnen.
Er sah so anders aus, dass sie ihn kaum wiedererkannt hatte. Vor seinen Besuchen in England hatte er sich stets präsen-tabel gemacht, indem er sich den Bart abrasieren und das Haar, das er nun schulterlang trug, kurz schneiden ließ. Anders hatte Gabrielle ihn nie zu Gesicht bekommen, und sie war stets der Meinung gewesen, sie schlüge ihm nach, zumindest was die Farbgebung anbelangte. Er hatte genauso schwarzes Haar wie sie und ihre Augen waren so hellblau wie seine. Die Kör-pergröße ihres Vaters hatte sie allerdings nicht geerbt, was ein Glück war, denn er war ein hochgewachsener Mann, etwas über einsachtzig, während Gabrielle genauso groß war wie ih-re Mutter. Doch dieser Mann ähnelte dem Vater, den sie kannte und liebte, in keinster Weise. Genau betrachtet waren Kleidung und Aussehen bei ihm ebenso extravagant wie bei den anderen Piraten, die ihr begegnet waren. An einem Ohr trug er sogar einen kleinen goldenen Ring!
Den hatte er allerdings gleich herausgenommen. Es machte ihn offenbar sehr verlegen, dass sie sein Doppelleben aufge-deckt hatte.
Einige Stunden nachdem sie den Hafen verlassen hatten, merkte Gabrielle, dass das Schiff ihres Vaters langsamer fuhr.
Sie ging an Deck, um nachzusehen, was los war. Pierre Lacross’ Schiff befand sich auf gleicher Höhe mit dem ihres Vaters. Pierre war ihnen von der Piratenbasis aus gefolgt!
Sie hatte Nathan noch gar nichts von ihm erzählt. Für längere Gespräche war kaum Zeit gewesen, und außerdem versuchte sie immer noch, die schockierende Entdeckung zu verarbeiten, dass ihr eigener Vater zu dieser Piratenbruderschaft gehörte. Doch zumindest hatte sie sich, nachdem ihr Vater sie gerettet hatte, in Sicherheit gewähnt und war davon
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