Malory
mit der jungen Janet Cameron, die ihrem Engländer, der ihr Herz erobert hatte, in die Ferne gefolgt war. Als dieser Mann bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war, hatte Janet jede Lebensfreu-de verloren. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst gewesen, und vielleicht war es ganz gut, daß sie ein Jahr später ebenfalls gestorben war. Roslynn hatte ja glücklicherweise
ihren
Großvater
gehabt.
Das
siebenjährige
Kind war Gott sei Dank anpassungsfähig gewesen, zumal der alte Schotte ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte.
Oje, ich bin schon genauso schlimm wie das Mädchen - denke an die Toten, während es doch die Zukunft ist, die uns Sorgen bereitet.
»Hoffen wir, daß die Betten hier bequemer sind als vergangene Nacht«, kommentierte Roslynn, als die Kutsche vor dem Landgasthaus anhielt. »Das ist das einzige, worauf ich mich in London freue. Ich weiß, daß uns bei Frances bequeme Betten erwarten.«
»Heißt das, daß du dich nicht freust, deine beste Freundin endlich wiederzusehen?«
Roslynn warf Nettie einen erstaunten Blick zu. »Natürlich freue ich mich. Ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen.
Aber
unter
den
gegebenen
Umständen...
Ich meine, nachdem wir ja keine Zeit zu verlieren haben, wird es vermutlich nur wenige gemütliche Plauderstündchen mit Frances geben. Ach, zum Teufel mit diesem verfluchten Geordie!« fügte sie wütend hinzu. »Wenn er nicht wäre...«
»... hättest du keine Versprechen abgegeben, und wir wären jetzt nicht hier. Aber was nutzt es, darüber zu jammern?«
Roslynn mußte lachen. »Und wer hat letzte Nacht so schrecklich gejammert, als sie in einem harten Bett lag, das sogar Wanzen verschmähten?«
Nettie schnaubte nur als Antwort und scheuchte Roslynn aus der Kutsche, sobald der Kutscher den Schlag öffnete und ihr seine Hand entgegenstreckte. Roslynn kicherte noch beim Aussteigen, und Nettie schnaubte wieder, diesmal aber über sich selbst.
Du bist doch noch nicht so alt, Nettie, Mädchen, daß du nicht ein paar unbequeme Nächte überstehen könntest! Heute nacht wirst du kein Wort sagen, selbst wenn das Bett aus Stein sein sollte, andernfalls wird die Kleine dich ewig damit aufziehen.
Doch gleich darauf grinste Nettie kopfschüttelnd. Jemanden ein bißchen zu necken, konnte Roslynn nur guttun, weil es sie von ihren trüben Gedanken an die Zukunft ablenkte. Auch wenn das Bett daunenweich sein sollte, jammerst du am besten, es wäre felsenhart, Mädchen. Du hast sie schon viel zu lange nicht mehr lachen gehört, hast schon viel zu lange kein vergnügtes Funkeln mehr in ihren Augen gesehen. Sie braucht dringend etwas Aufmunterung.
Roslynn nahm kaum Notiz von dem sechzehnjährigen Burschen, der auf einem Hocker stand und die Lampe über der Tür anzündete, aber er schenkte ihr unglückseligerweise um so mehr Beachtung. Ihr kehliges Lachen hatte ihn fasziniert aufhorchen lassen, und als er einen Blick über die Schulter warf, fiel er vor Staunen fast von seinem Hocker.
Im
rötlichen
Glanz
der
untergehenden
Sonne erstrahlte die Frau wie eine Flamme, und als sie immer näher kam, konnte er auch die feinen Züge des herzförmigen
Gesichts
erkennen
-
die
sanft
geschwun-
genen Backenknochen, die kleine schmale Nase, die vollen Lippen. Und dann überschritt sie die Schwelle, und er starrte ihr nach, bis ein energisches Räuspern den Zauber jäh durchbrach. Die Zofe musterte ihn so streng und tadelnd, daß er einen hochroten Kopf bekam.
Aber Nettie bekam Mitleid mit dem Jungen und verzichtete darauf, ihm eine Standpauke zu halten, was sie sonst immer tat, wenn jemand ihre Roslynn angaffte.
Und das passierte auf Schritt und Tritt, denn Lady Roslynn Chadwick übte nun einmal diese Wirkung auf das männliche Geschlecht aus, ob jung oder alt. Und dieses Mädchen sollte nun auf London losgelassen werden...
Kapitel 2
»Und du wolltest wissen, wer sein Schneider ist!« raunte der Ehrenwerte
William
Fairfax
seinem jungen
Freund
kichernd zu. »Habe ich dir nicht gleich gesagt, daß sein Schneider nichts zur Sache tut? Wenn du ihn ordentlich kopieren
willst,
solltest
du
schleunigst
Boxhandschuhe
anziehen. Wie ich gehört habe, betreibt er diesen Sport schon länger als ein Dutzend Jahre.«
Williams Freund Cully zuckte zusammen, als ein neuer Treffer zu hören war, öffnete aber seine Augen, die er vor einigen Minuten zugekniffen hatte, als das erste Blut aus einer mißhandelten Nase getropft war. Jetzt erschauderte er,
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