Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
ins Wasser. Hier und da versetzen die Hirten den Ziegen mit langen, dünnen Zweigen einen Hieb, doch die Ziegen kennen die vertrauten Rufe ihrer Hirten ganz genau.
Früher waren die Samburus meistens unbewaffnet, heute tragen manche unter ihren Umhängen alte Kalaschnikows, Schnellfeuergewehre, obwohl das nicht erlaubt ist. Deshalb arten die Stammesfehden dann auch schnell aus und sind nicht mehr zu kontrollieren. Nicht selten gibt es Tote, denn selbst einfache Überfälle und Racheakte werden häufig mit schweren Waffen ausgetragen. Die Waffen stammen aus von Bürgerkriegen gebeutelten Ländern wie Somalia und dem Sudan. Die verheerenden Dürren und Überschwemmungen verschärfen den Streit um Vieh, Wasser und Weideland und die Spirale der Gewalt dreht sich immer weiter.
Damit muss jetzt Schluss sein. Als Councillor, als Gemeinderätin, würde ich gegen den Viehdiebstahl angehen. Ich würde versuchen, Jobs in der Region zu schaffen, um die Diebstähle
zu unterbinden. Denn nur wenn einige dieser Männer arbeiten, werden die Konflikte aufhören.
Ich würde mich als Gemeinderätin dafür einsetzen, dass sich die Stämme aussöhnen und Frieden einkehrt. Oft verhandeln die Männer miteinander und während sie noch am Tisch sitzen und gute Miene zum bösen Spiel machen, haben sie längst junge Hirten losgeschickt, um die Herden der anderen zu stehlen. Frauen kommt das nicht in den Sinn, weil es letztlich unsere Söhne, Väter oder Männer sind, die bei diesen Auseinandersetzungen ums Leben kommen.
Mein Handy klingelt. Endlich, nach reiflicher Überlegung hat der Ältestenrat von Archer’s Post seine Genehmigung für unseren Marsch erteilt. »An dir ist ein echter Chief verloren gegangen«, meint Paul lachend zum Abschied. »Ich fange dann schon mal mit deiner Wahlkampfkampagne an«, verspricht er grinsend und verschwindet in der Weite der Halbwüste.
Am nächsten Morgen kommen sie aus allen Winkeln des Samburu-Distrikts: Hunderte von Frauen fallen in Archer’s Post ein wie Heuschrecken. Sie trällern und tragen selbst gemalte Plakate, auf denen sie gleiche Rechte für Männer und Frauen fordern. Ich bin begeistert und halte den Atem an, als sich plötzlich der Pulk von Frauen auf der Hauptstraße von Archer’s Post in Bewegung setzt.
Ich erinnere mich noch genau, als wir hier früher wie Geächtete unsere Ziegen, die wir gekauft hatten, über die Staubstraße trieben. Alle reckten damals ihre Köpfe aus ihren Dukas und starrten uns an. Die Welt in Archer’s Post blieb stehen. Die Männer hielten uns für unverfroren – wir liefen selbstbewusst mit unseren Ziegen durchs Dorf, während sie sich kein Fleisch leisten konnten. Ein schwer zu verdauender Tabubruch.
Auch jetzt, Jahre später, erstarren die Leute auf der Straße zu Salzsäulen. Ungläubig schauen sie zu, wie wir uns als lärmende, bunte Karawane durch das kleine Straßendorf schieben. Unsere Kundgebung zum Frauentag ist wie ein großer Showdown.
Der Ältestenrat hat gedacht, dass wir ein Volksfest feiern, eine Spaßveranstaltung für jedermann. Jetzt tauchen wir als politischer Zug für die Rechte der Frauen am Horizont auf und rollen über den frisch geteerten Asphalt. Eine Provokation. Wir, die Ausgestoßenen, haben mehr Menschen mobilisiert als unsere Lokalpolitiker im Wahlkampf. Archer’s Post platzt aus allen Nähten. Selbst die Alten sind sichtlich überrascht.
Auf meiner Stirn strahlt mein silbernes Metallschmuckstück mit Zacken, das so viel bedeutet wie »die, die von den Sternen kommen«. Ich rücke es noch einmal zurecht, bevor ich anfange zu reden. »Einige Männer behaupten, wir dürfen kein Land besitzen, doch die neue kenianische Verfassung räumt uns dieses Recht ein. Es ist doch wohl unbestritten, dass sie auch hier im Samburu-Distrikt gilt«, rufe ich mit fester Stimme laut und deutlich in die Menge, die sich in der Nähe der katholischen Mission in Archer’s Post versammelt hat. »Schaut auf Umoja – ein Dorf von Frauen für Frauen. Eine Oase in diesem von Dürren gebeutelten Landstrich. Das haben wir in fünfzehn Jahren harter Arbeit geschafft. Das Gleiche will ich für die gesamte Gegend schaffen.«
Ich blicke auf Nagusi, die wenige Meter vor mir steht und mich voller Stolz anschaut. Sie ist bis heute meine treuste Freundin. Schon einmal vor vielen Jahren, als wir uns kennenlernten, hat sie mich so erwartungsvoll angesehen. Damals habe ich in meiner ersten Rede bei den Jamhuri-Feierlichkeiten auf die Vergewaltigungen der
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