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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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ein Pharao liege ich da, die Arme verschränkt, den Blick zur Decke. Er sitzt neben mir wie ein Therapeut und mustert mich, und ich will, dass er mich fragt, aber er hat ja schon gefragt, und es war die falsche Frage. Es ist alles zu mühsam, wir sollten ins Bett gehen und uns lieben, aber auch das scheint mir unendlich mühsam und aufwendig.
    Das Brennen ist nun so stark, dass ich niemals weinen könnte, auch wenn ich es wollte, es flackert bis hinter die Augen, und darum brennen sie auch, natürlich. Was schaust du so, sage ich zu meinem Geliebten, ohne ihn anzusehen. Ach weißt du, sagt er, komm mal her, und er rückt näher zu mir und legt mir eine Hand auf den Arm und würde mich auch in den Arm nehmen, wenn mein starrer Pharaokörper sich lösen und ihm zudrehen könnte und meine Hände seine Finger umschließen und vielleicht sogar meine Lippen sein Gesicht berühren könnten, aber ich stehe mit einer Bewegung auf, als hätte mich jemand in die Senkrechte geschoben.
    Ich kann nun zu meinem Bruder gehen, der inzwischen seinen Rücken gestärkt hat und ein stiller Mensch ist, ich kann auch ins Haus meiner Mutter gehen und anfangen, alles durchzusehen, oder ich kann zum Bahnhof gehen und auf und davon fahren, bei der Arbeit könnte ich mich vertreten lassen, man würde das verstehen, einfach weg, wie kindisch. Ich laufe langsam die Straße meines Geliebten entlang, wieder lindenbestanden, der Duft ein kindischer Angriff, ich kann an einen Ort fahren, an dem es keine Linden gibt oder genug Wind und Regen, um den Lindenduft zu zerstäuben und zu verwässern, wie kindisch, auf eine griechische Insel, auf irgendeine Insel.

    Wir sind die Kinder. Wir sind vielleicht zu spät, aber nicht sehr viel zu spät, sie ist ja noch da, unsere Mutter, nur weiß ich nicht, was mit ihren Händen passiert ist. Sie hat doch ganz knochige feste Hände mit hervortretenden Adern, die sie gern gezeigt hat, die Haut war rot, die Knöchel spitz, aber diese Hände, die hier übereinanderliegen auf der weißen Decke, die sind weich, angeschwollen und auch warm, meine Mutter hat doch kalte Hände, immer schon waren ihre Hände kalt, aber trocken. Aber nun sind sie warm, trocken und dick, dicke Hände passen nicht zu meiner Mutter, und ich berühre diese Hände, wenigstens kalt müssen sie sein, so wie früher. Ich berühre auch ihre Stirn, die sehr glatt ist, und während ich mich erinnere an ihre Stirn, bevor sie hier lag, löscht sich die Erinnerung selbst aus, und im Erinnern entgleitet mir ihr Bild, und genau das habe ich mir doch gewünscht. Ich schließe die Augen, um noch etwas festzuhalten, ihren Blick, manchmal schelmisch, manchmal kokett, oft gequält, manchmal müde, wie kannst du so viel in einem Blick finden, ob sie es überhaupt hineingelegt hat, weißt du nicht. Aber die einzelnen Bilder überlagern sich und werden unscharf in dem Moment, in dem ich sie aufrufe, wie der Traum, den ich noch im Erzählen vergesse.
    Ich breche alles ab.
    Ich sehe: ihre nach hinten gekämmten Haare, den Verband um ihr Gesicht, die glatte Stirn, den schmalen kleinen Körper, kleiner als ich. Ich sehe: keinen Stein. Ich sehe: meinen Bruder, der mich in Ruhe lässt, er lehnt an der Wand und schaut auf den Gang, als warte er auf jemanden.
    Findest du es schlimm, dass wir zu spät sind, frage ich laut. Er erschrickt und schaut zu mir herüber. Nein, sagt er.

    Ich stehe am Bahnhof und schaue auf die Fahrpläne. Noch ist es Nachmittag, ich kann verreisen. Neben mir studiert ein älterer Mann die Abfahrtszeiten. Er muss sich weit nach vorne beugen, um ohne Brille die Uhrzeiten zu erkennen, seine Stirn berührt beinahe das Glas des Schaukastens. Neben ihm hockt ein großer zottiger Hund mit aufgerichteten spitzen Ohren. Ich streife ihn absichtlich mit dem Bein, um zu sehen, was er tut. Er bewegt sich aber nicht, er bleibt einfach hocken, wendet nicht einmal den Kopf zu mir. Ich finde ihn zu groß für den alten Mann. Wie will der Mann ihn halten, wenn der Hund nicht gehorcht? Oder gehorcht er so gut, dass der Mann keine Kraft braucht, um ihn zu führen? Kann der Mann diesen Hund überhaupt oft genug ausführen? Kann er lange Spaziergänge machen? Dieser Mann ist zu alt für den großen Hund. Ich bin nicht zu alt. Ich bin nicht jung, aber für einen solchen Hund nicht zu alt. Ich möchte auch so einen großen Hund,

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