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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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eindeutig und zielgerichtet. Ziel ist die würdige Bestattung unserer Mutter.
    Der Bestatter sammelt die Papiere ein, die er einreichen muss und die mein Bruder aus dem Haus geholt hat, und zeigt uns Listen mit Möglichkeiten für Anzeigen, Urnen, Friedhöfe, Redner, Liturgien und Särge. Wir müssen ja oder nein sagen. Nach jeder Frage schauen wir uns kurz an, dann sagt einer von uns ja oder nein. So arbeiten wir uns durch die Liste auf eine würdige Bestattung zu. Der Bestatter ist jünger als wir, er ist ein schlaksiger höflicher Kerl, sicher spielt er Basketball und hat als Junge Modellflugzeuge geklebt, er hat aber trotz seiner Jugend einen Vorsprung in Sachen Trauer, und das Brennen nimmt ab, solange er seine Liste abfragt.
    Wollen Sie sie denn noch einmal sehen, fragt er dann.
    Wieder schauen wir uns kurz an, nein, rufe ich, und mein Bruder gleichzeitig: ja, wir halten inne, überrascht, und ich schüttele heftig den Kopf, aber mein Bruder will sie sehen, er will noch einmal neben ihr sein und ihre Hände berühren und den Kopf an ihre Schulter legen, aber das geht nicht, Abschied kann man nur einmal nehmen, und außerdem, sagt der Bestatter vorsichtig, wird es dann, sag ich mal, etwas teurer.
    Jetzt muss ich meinem Bruder aus seinem Wunsch heraushelfen, das ist egal, sage ich schnell, darauf kommt es ja nicht an, und der Bestatter will erklären, warum es teurer wird, aber da gibt mein Bruder auf, nein, schon gut, lassen Sie, wir haben uns ja schon verabschiedet, und so ist es.
    Der Bestatter will nichts trinken, er hat schon, sagt er, und auch wir wollen nichts trinken, aber wir sollten gerade jetzt viel trinken, und ich stehe auf und hole meinem Bruder und mir ein Glas Wasser, und als ich wiederkomme, ist schon alles erledigt, und mein Bruder und der Bestatter sitzen schweigend auf dem Sofa. Mein Bruder blickt auf den Boden, der Bestatter, der Schweigen gewohnt sein muss, schaut sich im Zimmer um, und ich habe gar nichts dagegen, er könnte ein junger Kollege sein oder jemand aus dem Badmintonverein, er ist rosig und angemessen ernst, und als er sich verabschiedet, reicht er uns nicht mehr die Hand, als kennten wir uns nun gut genug, dass wir uns solche Rituale auch schenken könnten.
    Mein Bruder trinkt das Wasser in langsamen, sorgfältigen Schlucken.

    Am Bahnhof gibt es ein Café mit Stahlrohrsesseln und großen Schwarzweißfotos von Marilyn Monroe an der Wand, der alten Monroe, die ja so alt nicht war, verglichen mit meiner Mutter. Und mit mir. Ich kaufe mir eine Zeitung, setze mich ins Café und blättere in der Rubrik für Haustiere. Es gibt Meerschweinchen, Katzenbabys, Hamster, Ratten, Degus zu verschenken und auch ein paar Hunde in gute Hände abzugeben. Ich weiß aber nicht, ob sie groß genug wären. Ich könnte anrufen und nach der Größe fragen. Ich könnte meinen Bruder fragen, ob er den Hund nimmt, wenn ich in Urlaub fahre. Vielleicht könnten wir den Hund zusammen haben. Ich könnte selbst eine Anzeige schalten, großer folgsamer struppiger Hund mit spitzen Ohren gesucht.
    Ich lasse die Zeitung sinken und spüre das Brennen scharf in der Speiseröhre und unter den Rippen. Ich versuche, es wegzudenken, aber es wird immer stärker. Es drängt sich auch in die Luftröhre, ich atme schneller, weil ich sonst nicht genug Luft kriege, schwindelig wird mir, und ich stütze das Gesicht in beide Hände, und dann fasse ich mir mit den Fingern auf die Kopfhaut und drücke, bis der Schwindel wieder abklingt. Jemand bringt einen Milchkaffee, den ich nicht bestellt habe, und ich denke an den Milchschaum und den Zucker und den Löffel, den ich gleich mit Zucker füllen werde, um den Zucker durch den Milchschaum rieseln zu lassen, und dann tue ich all diese Dinge nacheinander und rühre um und bin so erschöpft, dass meine Hände anfangen zu zittern.
    Ich hebe den Blick und sehe an einem anderen Tisch einen meiner Schüler mit einem Mädchen, dem er von hinten die Hand in die Jeans schiebt, während er mit der anderen Hand ihre Haare streichelt, und mir schräg gegenüber eine Frau allein, etwas älter als ich. Sie sitzt aufrecht und schaut mich an. Ihr Tisch ist leer, sie hat noch nichts bestellt, oder vielleicht habe ich ihren Milchkaffee bekommen, und sie schaut mich deswegen an. Sie ist schmal und zäh, sie erinnert mich an niemanden.
    Die Frau an dem Tisch hat einen klaren, leeren Blick, wie

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