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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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seinem Rollstuhl sitzt und nicht wie Josef aussieht. Er schämt sich, sie schämen sich beide, aber sie wissen auch, dass sie die Hauptrollen in einem Musical haben und dass es dafür einen Preis zu zahlen gilt. Wenn der Preis entrichtet ist, werden sie auf der Bühne stehen und singen. Lynn fasst das Kondom mit spitzen Fingern und wirft es in den Papierkorb. Max schaut weg.
    Der Chor hat seine Lieder schnell gelernt. Im Werkraum werden Kostüme genäht. Max und Lynn haben Einzelproben und fangen an, die Augen von den Noten zu heben. Wenn ihr auf eure Schuhe glotzt, könnt ihr gleich einpacken, ruft die Musiklehrerin. Ihr werdet ein Publikum haben, Leute, die euch hören wollen, versteht ihr. Lynn richtet sich auf, die Musiklehrerin will, dass sie im Stehen singt, aber mit dem Stock ist es schwer, sich gerade zu halten. Auch Max versucht, die runden Schultern nach hinten zu ziehen und mehr Platz für die Töne zu machen, eine hohe klare Stimme hat er, silbern, sagt die Musiklehrerin, und Max lächelt.
    Katrina sitzt ungeduldig zwischen den E-Gitarren und dem Schlagzeug, an dem sich Uno so heftig austobt, dass ihm die Musiklehrerin schließlich die Stöcke wegnimmt, und zupft an ihrem Schellenkranz. Marias erster Song, ruft die Musiklehrerin, die Gitarren machen die Einleitung. Das ist doch kein Instrument, murmelt Katrina, Schellenkranz, das ist doch ein Witz. Der Betreuer neben ihr beugt sich herüber und zwinkert ihr zu, come on baby. Katrina reißt die Augen auf und stülpt die Lippen nach außen, ihre schönste Grimasse, mit der sie auf den Ausflügen immer die Passanten erschreckt.
    Sie weiß, wie sie aussieht. Im Duschraum gibt es einen Spiegel, in dem man sich von Kopf bis Fuß anschauen kann. Manchmal ermutigt die Betreuerin Katrina zu einer Gegenüberstellung. Du musst doch wissen, wie du aussiehst, sagt sie freundlich und schiebt Katrina vor den Spiegel, da gibt es nichts zu verstecken. Katrina wehrt sich und will sich unter ihrer Hand wegducken, aber die Betreuerin hält sie von hinten fest und legt ihr Gesicht auf Katrinas Schultern, so dass ihre Schläfen sich fast berühren. Siehst du, ich habe auch meine Schwachpunkte, sagt sie, fährt sich über den faltigen Hals und runzelt die Stirn.
    Katrina riecht ihr Parfüm und etwas Scharfes. Sie hebt den Blick und sieht sich in der gut gemeinten Umklammerung, das trotzige Gesicht tief zwischen den Schulterblättern, die zu kurzen Arme, die ganze schiefe Gestalt. Sie reißt sich los, zieht ihre Grimasse und ruft, ich habe Besseres zu tun, als hier mit Ihnen Pickel zu zählen.
    Vor der Offenen Disco, wenn sich alle in ihren Zimmern zurechtmachen, sitzt Katrina im Gruppenraum vor dem Fernseher und isst Schokolade. Nicht vor dem Abendessen, mahnt die Betreuerin im Vorübergehen, aber weil in allen Zimmern jemand auf ihre Hilfe bei der Verschönerung wartet, hat sie keine Zeit einzugreifen. Katrina wischt ihre verschmierten Hände am Pulli ab. Das gibt hässliche kotfarbene Schlieren.
    So kannst du aber nicht ausgehen, sagt Helen und streicht über ihren Rock, der extra bodenlang ist, damit man die Schienbeinstützen nicht sieht. Will ich ja auch gar nicht, schnappt Katrina und lässt ihren Blick über Helens schwankende Gestalt wandern. Und du glaubst wohl, du sähest ganz toll aus. Klar, sagt Helen trotzig, aber als Katrina hinter ihr herschaut, sieht sie an den eingezogenen Schultern, dass sie erfolgreich war.
    Auf dem Parkplatz vor der Aula treffen die Minibusse mit den anderen ein. Weil in den Tagen vor der Disco die Angst umgeht, haben die Betreuer alle Hände voll zu tun. Das hat doch keinen Sinn, dass ihr euch versteckt, sagen sie, die anderen haben auch Angst, die können auch vieles nicht, die sehen nur so aus, als gehörte ihnen die Welt.
    Und genauso sehen sie aus. Sie tragen lässige Hosen und locker geschnürte Turnschuhe, weite T-Shirts und hautenge Tops, alles ist frisch gewaschen und riecht nach gutem Waschpulver und Winterluft. Geschmeidig schlendern sie durch das Foyer, in Grüppchen, als kennten sie sich schon ewig, obwohl darauf geachtet wird, dass sich alles gut durchmischt. In der Aula lehnen sie an den Säulen und lagern auf den Stufen. Manche haben kleine Gummibälle dabei, die sie sich zuschleudern und dann in ihre Taschen zu den Zigarettenpackungen gleiten lassen. Rauchen ist natürlich strengstens verboten, es gibt Fanta, Orangensaft und

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