Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
Erdnussflips, so viel das Herz begehrt, um die Stimmung aufzulockern. Sie schaufeln sich Flips in den Mund, scharren mit den Turnschuhen und warten, dass die Musik losgeht, damit es nicht mehr so still ist. Sie sind hochgewachsen und anmutig. Wenn sie tanzen, muss man wegschauen, um nicht vor Neid die Fäuste zu ballen.
Die, die nicht tanzen, sitzen am Rand und schauen weg. Die Betreuer nehmen die Sache in Angriff und schieben die ersten Rollstühle auf die Tanzfläche. Die Tänzer weichen zurück und tanzen in einer Ecke für sich. Die Betreuer tanzen mit den Rollstühlen. Mit Krücken und Stöcken kann man gar nicht tanzen, aber auch nicht an Säulen lehnen und jemandem den Arm um die Schulter legen. Man hat einfach keine Hand frei. Die Betreuer reichen Orangensaft herum und knüpfen Gespräche an. Die Lichtorgel fängt an zu blinken. Einige Tänzer stehen am Rand und starren auf die schlingernden Rollstühle, die anderen stehen drauÃen und rauchen.
Katrina sitzt immer noch vor dem Fernseher, ohne etwas zu sehen, als Helen verquollen die Tür aufstöÃt und in einen Sessel sinkt. Na, hast du einen geilen Typen getroffen, murmelt Katrina. Helen starrt auf den Bildschirm. Ihre Nase läuft, ihre roten Lippen sehen zerfranst aus. Eine Weile starrt sie geradeaus, dann wuchtet sie sich hoch, schwankt zu Katrina hinüber, packt in ihr Haar und reiÃt daran mit aller Kraft. Du Biest, zischt sie, du biestiges Ekel, du musst immer alles kaputtmachen. Katrina fängt an zu schreien, aber da lässt Helen schon los und verschwindet im Gang.
Am Schellenkranz kann Katrina nicht viel kaputtmachen. Selbst wenn sie aus dem Rhythmus kommt, wird sie von Uno am Schlagzeug und von den E-Gitarren übertönt, die die Betreuer mit wachsendem Vergnügen zum Jaulen bringen, einer springt sogar auf, geht in die Knie und reckt den Gitarrenhals in die Luft, und die Musiklehrerin bittet mit nachsichtigem Lächeln um etwas mehr Zurückhaltung. Hast du gehört, Katrina, sagt er mit komischem Schulterzucken, wir sollen uns ein bisschen zurückhalten.
Aber Katrina lässt nicht mit sich anbändeln. Unversöhnlich und spöttisch hockt sie auf ihrem Platz und schwenkt lustlos den Schellenkranz.
Man probt jetzt dreimal die Woche. Der Chor übt synchrone Bewegungen. Aus den Brettern, die der Werklehrer auf die Bühne schleppt, wird eine Krippe gezimmert. Komm, Josef, ruft er Max zu, du bist doch Zimmermann, zeig, was du kannst. Kaiser Augustus lässt sich eigens für die Aufführung einen Bart stehen und einen weiten rot gefütterten Mantel nähen. Lynn traut sich ans Mikrofon und füllt die Aula mit ihrer klaren Stimme. Die Musiklehrerin steht zwischen den Säulen und schüttelt den Kopf vor Freude.
Katrina liest, während die Musik um sie herum zu wachsen beginnt, Hefte für Mädchen. Sie blättert sich durch die Schminktipps und die Flirtgeschichten bis zu den Leserbriefen. Liebe Kummerecke, ich weià einfach nicht, woher ich den Mut nehmen soll, ihn zu küssen. Ich glaube, er mag mich, er sitzt immer ganz nah bei mir, aber er ist sehr schüchtern. Was soll ich tun? Liebe Mutlose, vielleicht solltest du den ersten Schritt tun. Lass dir Zeit, aber wenn der Augenblick gekommen ist, zögere nicht â sonst sitzt ihr den Rest eurer Tage bloà nebeneinander. Katrina würde das völlig genügen. Sie versucht, sich einen Kuss vorzustellen, aber wer soll der Küssende sein, wie sollen sich ihre Gesichter einander nähern, ihre Lippen treffen, wie soll das aussehen. Manche lieben sich, das hat sie einmal gelesen, gern vor groÃen Spiegeln.
Weihnachten ist das Fest der Liebe, sagt die Musiklehrerin in ihrer Ansprache vor der Generalprobe, und deswegen bin ich besonders froh, dass es fast alle von euch geschafft haben, über den eigenen Schatten zu springen und am selben Strick zu ziehen. Ãbermorgen ist ein groÃer Tag für uns alle. Ich bin stolz auf euch und auf unsere Musik.
Alle, die aufstehen können, stehen auf und klatschen. Dann proben sie bis zur Erschöpfung.
Am Tag der Aufführung hat Lynn Halsschmerzen und Max Durchfall. Die Musiklehrerin ringt die Hände. In den Werkstätten, die zu Umkleiden umgebaut sind, wird toupiert, gefönt, geschminkt und geschmückt. Hannes hat seine Goldkrone verloren, Uno einen Trommelschlägel. Im Foyer stehen die ersten Besucher und raunen sich Mut zu.
Jemand hat
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