Man lebt nur ewig
es gehofft hatte, konnte Plan A vielleicht sogar funktionieren.
»Also, was meinen Auftrag angeht …«, setzte ich an.
»Bedauerlicherweise kann meine Regierung bei keinem ihrer Pläne kooperieren, auch wenn Lung ein gemeinsa- mer Feind ist.« Hm. Wu zeigte keine Spur mehr von dem schweren Akzent, den er am Telefon benutzt hatte. Hieß das, dass er mir nun nichts mehr vorspielte?
Ich ließ meinen Arm sinken und zuckte zusammen, als würden die Kleider langsam zu schwer für mich. Ich ging auf das Bett zu, in der offensichtlichen Absicht, sie dort abzulegen. »Was?«, fragte ich. »Glauben Sie, dass sie schlecht dastehen könnten, wenn Sie uns helfen?
Angst, dass Nordkorea Sie einen Schlappschwanz nennt und dann alleine mit seinen Atomwaffen spielt?«
Wu lächelte und entblößte dabei viel zu viele Zähne. Wenn er seine Zunge entrollte, würde sie wahrscheinlich bis zum Bauchnabel reichen. »Ich denke, es hat eher etwas damit zu tun, dass wir euch Amerikaner für Arschlöcher halten.«
Ich war am Bett angekommen. Die Klamotten richtig hinzulegen, wurde zu einer Riesenprozedur. Die es mir erlaubte, näher an Wu heranzukommen. Während ich mich in Reichweite vorarbeitete, schnalzte ich mit der Zunge und schenkte ihm einen Du-warst-ein-böser-Jun- ge-Blick. »Nur engstirnige Idioten klammern sich an sol- che Stereotypen, Wu. Ich hätte beispielsweise gedacht, dass Sie, als Mitglied der Volksbefreiungsarmee, ein durch und durch linientreuer chinesischer Kommunist sein müssten.« Ich beugte mich noch immer über die Klamot- ten und sorgte so dafür, dass er glaubte, ich wäre nicht ganz im Gleichgewicht, und außerdem meine Hände se- hen konnte, die mit der Folie hantierten, in welche die Sachen verpackt waren. Ich fuhr fort: »Aber da ich bereit bin, verschiedene Perspektiven in Betracht zu ziehen, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Sie in Wahrheit nur ein seelenfressender Schröpfer sind.«
Er stürzte sich auf mich, wie ich es gehofft hatte. Hätte ich mir in dieser verletzlichen Position auch nur eine Überlegung erlaubt, wäre ich tot gewesen. Stattdessen handelte ich. Ich riss die Folie von der Kleiderhülle.
Als Wu gegen das Bett prallte, wandte ich mich seit- wärts und rammte die Folie, die ich auch mein tragbares Kissen nannte, durch die Öffnung in seinem Schild.
Sie kroch über sein Gesicht wie eine lebendige Maske und bedeckte seinen Mund, seine Nase und seine Augen
so fest, dass ich ihre Umrisse unter dem Material erken- nen konnte.
Er tastete hektisch nach der Folie und fiel dabei aufs Bett. Ich rollte ihn auf den Bauch, rammte ein Knie in seinen Rücken, um ihn zu fixieren, riss seine Hand von seinem Gesicht und verdrehte sie so hart, dass er gezwun- gen war, sie sich auf den Rücken ziehen zu lassen. Mit der anderen Hand verfuhr ich genauso, schob sie beide auf seinem Rücken so weit wie möglich nach oben und fessel- te sie mit einem Kabelbinder.
Als seine Abwehr endlich nachließ, rollte ich ihn auf den Rücken, holte mir das tragbare Kissen zurück, faltete es zusammen und stopfte es in meine Tasche. Als sich das dritte Auge an seiner Stirn öffnete, sprang ich zurück. Im Gegensatz zu Wus normalen Augen war es hellgrün. Ich wartete, doch nichts waberte heraus. Es starrte an die De- cke, leer und blicklos wie die beiden Originale.
»Wo bist du, Wu?«, flüsterte ich. Dann wurde mir be- wusst, dass ich die Seele des ersten Schröpfers, den ich getötet hatte, auch nicht gesehen hatte. Was bedeutete … »Schröpfer können niemanden töten, der nicht markiert ist. Aber wenn sie in einen Körper eindringen, weicht die Seele. Also müssen diese Leute, die Schröpferwirte, der ganzen Sache von vornherein zustimmen.« Cole hatte Recht gehabt. Wu hatte ein Schröpfer sein wollen. Samos musste dieses Leben als verdammt reizvoll dargestellt ha- ben. Sogar gottgleich. Mit Macht über Leben und Tod. Keine nervende Moral, die einen zurückhielt. Und erst das Bonuspaket! »Aber zu welchem Preis? Wo ist seine Seele jetzt?« Eigentlich hatte ich eine ziemlich klare Vor- stellung davon, aber ich beschloss sofort, das Shao gegen- über niemals zu erwähnen.
Ich versteckte die Leiche hinter dem Paravent. Während
ich mich noch einmal im Raum umsah, dachte ich, wie praktisch es doch wäre, wenn ich einfach ein Bodenbrett in irgendeinem Schrank anheben und dort Pengfei oder Lung finden würde, bereit für die Pfählung. Aber ich spürte keinen einzigen Vampir an Bord.
Ich riss die Schranktüren auf
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