Man lebt nur ewig
belügen. »Ich wollte sagen, wenn du lange genug überlebst, um ein paar Erfahrungen zu sammeln. Aber dann habe ich einfach beschlossen, dafür zu sorgen, dass es so kommen wird.«
Daraufhin sah er mich an und grinste. »Hervorragend.«
»Also hören wir auf, hier rumzuhängen, und machen uns an die Arbeit, okay?«
Wir brachten die Klamotten hinein. Die Stimmung hat- te sich deutlich abgekühlt, und das nicht nur, weil Cas- sandra die Küche zugunsten des Wohnbereichs aufge- geben hatte. Bergman hatte das Wohnmobil gleich ganz verlassen.
»Seine Frustration ist ins Kraut geschossen«, erklär- te Cassandra uns. »Er hat mehrmals geflucht. Dann hat er ein paar Teile durch die Gegend geworfen. Dann hat er geschrien: ›Für eine solche Arbeit bin ich nicht ausgerüstet!‹ Schließlich hat er beschlossen, dass er ein Spezialwerkzeug braucht, und sobald ihm das Internet einen Laden gezeigt hatte, der so etwas führt, ist er ge- gangen.«
Ich war unentschlossen. Sollte ich mich schuldig fühlen, weil ich meinen alten Freund fast in den Wahnsinn trieb? Oder sollte ich ihn weiterhin möglichst beschäftigt halten,
damit er mit seinen unterentwickelten sozialen Fähigkei- ten nicht alle anderen in den Wahnsinn trieb?
Ich warf Lungs Klamotten neben Cole auf Mary-Kate und griff mir die zwei Kleider, die Pengfei in die Reini- gung gegeben hatte. »Welches davon soll ich heute Abend anziehen?«
Cassandra musterte sie beide ausgiebig. »Mir gefällt das schwarze mit den grünen Phönixen drauf besser. Oder heißt es Phönixi?«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Dann wird es das Schwarze. Die restlichen Sachen bringe ich jetzt zur Jacht. Cole, könntest du zum Hafen gehen und uns ein Schnell- boot mieten? Und bitte keins, das jede Minute sinken kann, wie die Fähre der ›Pflanze der Sieben Meere‹, okay?«
»Wird erledigt.« Cole machte sich auf den Weg. Ich ging mit den Sachen aus der Reinigung ins Schlafzimmer. Dort hängte ich das erwählte Kleid in den Schrank und holte meine Waffentasche hervor. Falls Wu sich tatsächlich in einen Schröpfer verwandelt hatte, würde er verdammt schwer zu töten sein, selbst als Frischling. Ich wollte also einige Wahlmöglichkeiten haben.
Da Kummer bereits in meinem Schulterholster steckte, schob ich Ururopas Machete in seine eingebaute Taschen- scheide. Die 38er wanderte in meinen Gürtel, hinten am Rücken. An meinem rechten Handgelenk befestigte ich eine Scheide voller Wurfmesser, auch wenn die die aller- letzte Angriffsmöglichkeit waren. Meine Waffe der Wahl rutschte aus einem großen Umschlag. Die fast durchsich- tige Folie mit mikroskopisch kleinen Roboterzellen, die irgendeine Entwicklungsabteilung des Verteidigungsmi- nisteriums gebastelt hatte, haftete an fast jeder Oberflä- che. Ich drückte sie auf die Folie, in die Lungs Anzug
verpackt war, und trat einen Schritt zurück. Jawohl, sie passte sich nahtlos an. Ich fuhr mit der Hand darüber. Es war deutlich spürbar, wo die eine Folie aufhörte und die andere begann. Sehr gut.
Mit einer geordneten Angriffsstrategie fühlte ich mich gerüstet, um mit Wu fertigzuwerden, der, wie ich mich streng ermahnte, gar nicht Wu war. Als ich mich umdreh- te, um zu gehen, strich ich mit den Fingern an der Außen- seite von Vayls Schlafzelt entlang.
Vielleicht komme ich nicht zurück , dachte ich. Diese Schröpfer sind verdammt harte Mistkerle. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass einer von denen mich irgendwann kriegen wird.
Schockiert wurde mir bewusst, dass dieser Gedanke mir noch vor ein paar Monaten überhaupt nichts ausgemacht hätte. Doch nun verstand ich wesentlich besser, warum mein Boss immer wieder ins Leben zurückkehrte. Es war so verdammt interessant. Besonders, wenn du deine Ta- ge - oder besser, deine Nächte - mit jemandem verbringst, der durch die leichteste Berührung seiner Hand dein Herz zu gymnastischen Übungen antreibt. Das Problem war nur, dass ich aus erster Hand wusste, was passieren konn- te, wenn man von diesem Schwebebalken runterfiel.
Ich fand Cole am Hafen, auf einem grellroten Schnell- boot, das sogar seetauglich aussah. Er hatte irgendwo eine Kapitänsmütze aufgetrieben, die er verkehrt herum trug.
»Weißt du«, meinte ich, als ich ihm die verpackten Klei- dungsstücke reichte und an Bord kletterte, »mit dieser Kopfbedeckung verstößt du wahrscheinlich gegen ir- gendein nautisches Gesetz.«
Er machte eine grüne Kaugummiblase. »Macht mich das dann zu einem Piraten?«
Ich verdrehte
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