Man lebt nur ewig
dudelt. Aber egal wie sehr ich es versuchte, ich hörte die ganze Zeit den Song Brain Damage und Roger Waters, wie er leise sang: »Der Irre sitzt in meinem Kopf …«
Wir hatten das Ufer erreicht. Cole, Bergman und Cas- sandra drehten sich um und begleiteten Vayl und mich zurück zum Wohnmobil.
»Ich habe davon gehört, dass manche Schlafwandler
ihre Träume so ausleben. Es gibt sogar einen Namen da- für«, sagte Bergman.
»Es gibt für alles einen Namen«, erwiderte ich trocken. Ich klang gelassen, aber meine Psyche hatte sich mit ei- nem lauten Knall zurückgemeldet. Die normale Ordnung der Dinge hatte sich wieder einmal auf den Kopf gestellt und war zu Jaz-Land geworden. Doch dieses Mal konnte ich es nicht vor meinen Kollegen verstecken und so tun, als wäre die Welt in Ordnung. Verdammt, verdammt, verdammt … Ich biss mir auf die Lippe. Okay Jaz, du bist jetzt im Schadensbegrenzungsmodus. Das bedeutet, dass du nicht völlig durchdrehen darfst. Keine Wortschleifen. Keine Blackouts. Und keine Karten - bis du alleine bist. Dann kannst du dich gerne vom Kronleuchter schwingen und bellen wie ein Schäferhund. Bis dahin - spiel die Normale.
Im Wohnmobil standen ein paar Tassen auf dem Tisch, aber irgendjemand hatte einen Stapel Pappteller auf den Boden geschmissen. Ich hob sie auf, stellte sie neben der Spüle auf dem Tresen ab und ging in Richtung Dusche.
»Jasmine«, sagte Vayl sanft. Ich drehte mich um. Er blieb im Eingang stehen und versuchte, nicht auf den Tep- pich zu tropfen. Er hatte den anderen den Vortritt gelas- sen, die nun zwischen Mary-Kate und Ashley standen und mich beobachteten, alle mehr oder weniger besorgt. Sie wirkten schmerzhaft normal. Ein buntes Haarband hielt Cassandra die Zöpfe aus der Stirn. Sie trug mindes- tens fünf Paar goldene Ohrringe, das längste davon hing bis auf die Schultern ihrer grünblauen Strickbluse herab. Ihr langer schwarzer Rock streifte ihre Knöchel, dazu trug sie passende schwarze Pumps mit blauen Schleifen. Bergman trug ein graues Sweatshirt mit ausgeleierten Är- meln über alten Bluejeans und den Schneestiefeln, die er
schon angehabt hatte, als sie mich bei Evie abgeholt hat- ten. Cole war in seine roten Turnschuhe, eine Stoffhose und ein schwarzes T-Shirt gekleidet, auf dem ein Holz- stapel abgebildet war. Darunter stand: Hey Lady, heute schon genagelt?
»Was ist, Vayl?«, fragte ich.
»Was da gerade geschehen ist, war kein normales Schlaf- wandeln. Dein Finger lag am Abzug einer gespannten Armbrust. Wir können dieses Problem nicht einfach bei- seiteschieben und hoffen, dass es von alleine verschwin- det.«
Okay, ich wollte sagen: Und wie wir das ignorieren können! Aber ich wusste, dass er Recht hatte. Was, wenn ich beim Aufwachen mit der Waffe auf Cassandras Kopf gezielt hätte? Oder auf einen der Jungs? Ich nickte. »Was schlägst du vor?«
Da war er sprachlos. Cassandra wartete einen Moment, und als klar wurde, dass er so schnell keinen Plan parat hatte, sprang sie ein: »Ich kenne jemanden, der vielleicht helfen könnte.«
»Okay, nach dieser Mission …«
»Er lebt in New Mexico. Wahrscheinlich könntet ihr euch morgen schon treffen.«
»Ist er Arzt?«
»In gewisser Weise.«
Alternative Medizin. Okay, damit kann ich umgehen. »Fein, mach das klar.«
»Und …«, meldete sich Cole zu Wort.
Ich unterdrückte den Drang, ihn anzuschnauzen. Sie wollten nur helfen. Es war nicht ihre Schuld, dass der Gedanke, zur Wurzel meines bizarren Verhaltens vorzu- dringen, mir eine Heidenangst machte. Meiner Meinung nach begann keine Erklärung dafür, dass jemand sich eine
Waffe an den Kopf hält, mit den Worten »Gute Nachrich- ten, Jaz«. Doch wenn man bedachte, wir hoch momentan die Chancen standen, dass ich einen Bolzen in den Kopf bekommen könnte, war Verdrängung wahrscheinlich nicht gerade die beste Taktik. »Ja?«
»Bis wir wissen, wie wir damit umgehen sollen, sollte jemand auf dich aufpassen, wenn du schläfst.«
»Na klar. Ihr könnt ja Strohhalme ziehen oder so. Und schenkt euch diese Kriegswaisenmienen, okay? Ich werde schon damit klarkommen.«
»Sicher wirst du das«, sagte Bergman. »Du bist doch Jaz.«
Ich nickte. Dieser Vertrauensbeweis tat gut. Aber im Ge- gensatz zu Bergman kannte ich meine Grenzen. Manchmal konnte ich diese Linie in meinem Bewusstsein sehen, die mich daran erinnerte, dass die geistige Gesundheit, im Ge- gensatz zur Erde, eine Scheibe ist. Und es gibt einen Punkt, von dem man abstürzen kann. Ich konnte nur hoffen,
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