Man lebt nur ewig
berühren, eigentlich nicht mal das hier, wenn es sich vermeiden lässt.« Es war bekannt, dass ein Medium den
Verstand verlieren konnte, wenn es mit den Habseligkei- ten eines Mörders in Berührung kam. »Aber wenn wir wirklich verzweifelt sind, müssen wir sie vielleicht doch bitten, das hier zu berühren. Um herauszufinden, was es ihr über das Monster verrät, wo es hergekommen ist, und warum.«
Vayl nickte. »Also gut. Aber nur, wenn es nicht anders geht.«
6
W ährend ich bei Evie, Tim und E.J. gewesen war, hatte ich mir eine schlechte Angewohnheit zugelegt. Mei- ner Meinung nach war das Baby schuld. Hätte es auch nur einmal nachts durchgeschlafen, hätte ich nicht mehrere Nickerchen pro Tag gebraucht, um die Fütterungen um zwei Uhr morgens auszugleichen. (Tim und Evie hatten alle anderen Schichten übernommen, also sollte ich mich nicht beklagen. Tat ich aber trotzdem.) In den drei Wo- chen, die ich bei ihnen gewesen war, hatte ich die Fähig- keit entwickelt, immer und überall einzuschlafen. In der Warteschlange beim TÜV. Auf dem Boden, während Evie und ich mit E. J.s Sachen spielten, unter dem Vorwand, das sei gut für das Baby. Einmal sogar auf der Toilette.
Als wir in Corpus Christi ankamen, hatte ich dieses Ver- halten noch nicht ganz abgelegt. Sobald wir das Wohn- mobil betraten und ich spürte, wie die Erschöpfung mich übermannte, dachte ich mir, dass ich besser ein Nickerchen einlegen sollte, bevor mich jemand schlafend auf dem Klo erwischte.
»Sollen wir den Plan für heute Abend durchgehen?«, fragte Vayl.
»Ja, unbedingt. Aber weißt du was? Ich muss mich erst etwas frischmachen. In fünf Minuten?«
»Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst«, sagte Vayl sanft. »Wir bauen inzwischen das Zelt auf, während du dich ausruhst.« Er ist nicht wirklich nett zu mir. Er will
nur, dass ich später fit bin. Das werden ein paar sehr anstrengende Stunden. Das versuchte ich mir einzureden. Aber trotzdem hatte ich dieses warme Gefühl im Bauch, als ich in den hinteren Teil des Wohnmobils ging und mich auf dem Doppelbett ausstreckte, wobei ich fast gar nicht daran dachte, wie groß und leer es sich anfühlte.
»Keine Betten mehr«, murmelte ich in die Kissen. »Wenn ich nach Hause komme, steige ich auf Hängemat- ten um. Wer fühlt sich schon einsam und deprimiert, wenn er in einer Hängematte schläft?«
»Wach auf, Jasmine!«
Die Hängematte, in der ich lag, wackelte und schwank- te so heftig, dass ich entweder rausfallen oder kotzen würde. Oder beides. Ich öffnete die Augen. Moment mal, vergiss die Hängematte. Ich lag immer noch im Bett. Ich schaute auf meine Uhr. Ich hatte nur acht Minuten ge- schlafen.
»Was zur Hölle …«, fragte ich gereizt.
»Schh«, zischte David. »Wir haben nicht viel Zeit. Sie kommen.« Komisch, ich hatte gedacht, er sei Tausende von Meilen weit weg und würde irgendwo im Mittleren Osten ein paar Terroristen in den Arsch treten. Aber da stand er vor mir, und seine Unruhe war ansteckender als die Vogelgrippe.
In dem Bewusstsein, dass er Recht hatte, sprang ich aus dem Bett. Und ich wusste auch, wer »sie« waren. Ein Nest von frisch verwandelten Vampiren und ihre verblie- benen menschlichen Bewacher, alle stinksauer, weil wir ihre Anführer getötet hatten, die wir Aasgeier nannten.
Ich folgte ihm aus dem Wohnwagen und suchte mit den Augen den Strand und das belebte Festivalgelände ab. Ich konnte sie nicht sehen, aber sie waren irgendwo da drau-
ßen. Ihre Anders artigkeit und ihre bösen Absichten sand- ten einen psychischen Gestank aus, bei dem sich mir der Magen umdrehte.
Vor dem Wohnmobil hielten wir Kriegsrat. »Wir müs- sen sie von hier weglocken«, sagte David. »Sonst sind Jesse und Matt verloren.«
Dieser Gedanke machte mir Angst. Wenn einer von den beiden verletzt war, würde ich mir das nie verzeihen. Ge- meinsam rannten wir Richtung Westen über das letzte Stück des grasbewachsenen Abhangs, auf dem noch nie- mand einen Stand errichtet hatte. Wir sprangen über eine niedrige Betonmauer und landeten auf einem verlassenen Strandabschnitt. Hier war das Gras so hoch, dass es uns fast bis zu den Köpfen reichte. Wir pflügten hindurch, wichen Müllhaufen aus und sprangen über die Reste eines bröckelnden Piers, der wohl einmal für höhere Wasser- stände angelegt worden war. Bald hörten wir sie hinter uns - stolpernd, fluchend, wie eine Büffelherde. Ich dach- te zunächst, wir könnten ihnen entkommen. Doch dann tauchten wir aus dem Gras auf
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