Man lebt nur ewig
Couch. Für eine Sekunde wünschte ich mir, ich hätte Vampirkräfte, um ihm auf halbem Weg begegnen zu können. Um ihm diesen selbstgefälligen Ausdruck aus dem Gesicht schlagen zu können. Ich wich in letzter Sekunde aus, doch nicht schnell genug, um dem Schlag seiner rechten Faust zu entgehen, der mich an die Wand schleuderte. Aber ich hatte ebenfalls einen Treffer gelandet, einen Tritt gegen die Schulter, die danach schlaff herabhing.
»Jasmine!«, brüllte Vayl. »Das ist kein Boxkampf! Lös ihn in Rauch auf!«
Das Mädchen, das sie einfach auf den Boden geworfen hatten, stöhnte. Sie war von so vielen Bisswunden über- zogen, dass es aussah, als wäre sie in eine tollwütige Hun- demeute geraten. Sie würde diese Nacht nicht überleben. Es schien nicht genug zu sein, den Hurensohn, der ihr das angetan hatte, einfach zu töten. Ich wollte ihm erst so richtig wehtun. Ihn einen Teil ihrer Schmerzen spüren lassen.
Ich wirbelte herum und griff ihn an, mit allem, was ich in meinem Repertoire hatte. Tritte, die Knochen brechen. Schläge, die Bewusstlosigkeit, Koma, sogar den Tod her- beiführen können. Ich kümmerte mich so wenig um mei- ne Verteidigung, dass jeder andere Vampir meinen Arsch ins nächste Jahrhundert getreten hätte. Aber nach den ersten paar Sekunden wollte dieser Kerl nichts mehr mit mir zu tun haben. Feige wie er war, schützte er sein Ge- sicht und wich schreiend vor mir zurück. »Verschwinde aus meinem Haus, Hexe!«
Dummerweise fiel ihm, als er in der Ecke stand und ihm klar wurde, dass es keinen Ausweg mehr gab, wieder ein, dass ich ein Mensch war.
»Jasmine!«, schnauzte Vayl. Ich hörte seine Warnung, aber zu spät. Potts wich meinen Attacken aus, als würde ich reglos vor ihm stehen. Er packte mein Kinn, zwang mich, ihm in die Augen zu sehen, und begann zu spre- chen.
Ich spürte die Macht hinter seinen Worten und wusste, dass seine besondere Gabe darin bestand, ins Bewusstsein anderer Leute einzudringen und ihre dunkelsten Geheim- nisse aufzuspüren. Und trotzdem glaubte ich alles, was er mir sagte. »Der Segen der Regierung ändert gar nichts, Jaz. Du bist nichts anderes als eine Mörderin. Das Blut an deinen Händen lässt sich nicht abwaschen. Denn selbst
wenn du für die Morde an den Bösen eine Rechtfertigung findest, wirst du dich nie der Verantwortung für deine Helsinger-Crew entziehen können, und für deine Schwä- gerin, für deinen Verlobten. Ihre Tode sind Narben auf deiner Seele, für die du bezahlen wirst bis zum Ende aller Zeiten.«
Meine Hände erschlafften. Ich stand so hilflos vor ihm wie jedes seiner Opfer, und dieses Gefühl ließ mich vor Kälte zittern. Nein, Moment, das war Vayl, der eine Wel- le seiner kalten Kraft durch den Raum schickte, in der Hoffnung, dass ich dadurch wieder klar denken könnte. Es funktionierte.
Ich riss mein rechtes Handgelenk hoch, und die Spritze mit Weihwasser, die ich in meinem Ärmel versteckt hatte, glitt in meine Hand. Eine Sekunde später hatte ich Potts die Nadel tief in den Bauch gerammt. Er starb unter Schmer- zen, während sich große Blasen auf seiner qualmenden Haut bildeten und aufplatzten, bevor er schließlich explo- dierte, als hätte er eine Granate verschluckt.
Vayl entledigte sich des letzten Vampirs und trat zu mir. Ich war auf dem Sofa zusammengebrochen und beobach- tete betäubt, wie die Tochter des Kabinettsmitglieds starb. Als er mein Bein berührte, zog ich es so ruckartig weg, als hätte er mir einen Stromstoß verpasst.
»Du blutest«, stellte er fest.
»Es ist nichts.«
Und dann hatte er mir die Worte und den Blick ver- passt, die er gerade wiederholt hatte, gefolgt von einigen Missionen, während derer ich kein einziges Wort sagen durfte.
Einfach nur das Ziel ausmachen, Jaz , rief ich mir wieder in Erinnerung. Es ist nicht deine Aufgabe zu entscheiden, wer wie stark bestraft werden muss. Und ja, die Erfahrung
hat dir gezeigt, dass du, wenn du einen Vampir zu weit treibst - ich sah Vayl an, der reglos dastand wie das Model eines Malers, mit wehendem Ledermantel, eine reizvolle Mischung aus Macht, Stärke und erotischer An- ziehungskraft -, bestimmt verletzt werden wirst .
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Vayl.
Ich leckte mir über die Lippen. Er spannte sich an, und die Farbe seiner Augen wechselte in dem schwachen Licht des Festivals zu Grün. Ich wandte mich an Ziegenbart. »Wir brauchen auch bald ein Catering. Wissen Sie, wo wir Larry und seine Cousine finden können?«
10
W ir standen
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