Man lebt nur ewig
ich auf Vayls Schultern sprin- gen. Und wenn er dann bis nach Südamerika fahren muss- te und dabei nur seine Augenbrauen aus dem Wasser schauten, war das eben so. Ich schätzte die Entfernung ab und machte mich zum Sprung bereit, während ich gleich-
zeitig den Rand des Bootes packte und mich festklam- merte.
Bergman fragte: »Vayl? Können wir die Ausrüstung noch einmal überprüfen?«
»Das haben wir doch gerade am Pier schon gemacht«, protestierte Cassandra.
Er schenkte ihr einen trockenen Blick. »Sie könnte viel- leicht anders funktionieren, wenn wir auf dem Wasser sind.«
Sie war ein schickes kleines System, bei dem Drähte, die von unserem ansässigen Medium/Schneiderin in unsere Krägen eingenäht worden waren, irgendwelche Wellen gegen die Dinge in unserer Umgebung schickten. Eine Maschine, die Bergman am Boot befestigt hatte, übersetz- te dann diese Signale. Im Idealfall würde das System ver- hindern, dass wir von herumwandernden Wachen über- rascht würden, während wir die Überwachungskameras installierten. Jeder von uns hatte fünf dieser Minikameras in der Tasche, keine größer als ein Tic Tac. Ist es schlimm, wenn man eine Lupe braucht, um sein Untersuchungs- werkzeug zu untersuchen? Vielleicht schon.
Vayls Aufgabe bestand - neben der Sicherstellung, dass unser Fluchtboot ausreichend schwimmfähig blieb, um uns wieder ans Ufer zu bringen - darin, den Monitor zu überwachen. Falls jemand auftauchte, würde er uns über das Minzplättchen kontaktieren, oder wie Bergman es ger- ne nannte, den kabellosen oralen Sender. Wir trugen alle Minihörgeräte, mit denen wir diese Kommunikationsver- suche empfangen konnten, ohne dabei auszusehen, als hät- ten wir in unserer wilden Jugend zu lange bei einem KISS- Konzert vor den Boxen getanzt. Vayl konnte uns auch hören, doch er hatte uns gewarnt, nicht jedes Mal, wenn uns danach war, irgendetwas zu erzählen. Ein verstärktes
Gehör war eine weit verbreitete Fähigkeit unter Vampiren, und Vayl war der Meinung, dass wir potenzielle Bösewich- ter, die zuhören könnten, aus der Leitung halten sollten.
»Wisst ihr, ich könnte uns wahrscheinlich Talismane besorgen, die das Gleiche bewirken würden«, sagte Cas- sandra gelassen und warf Bergman dabei einen Seitenblick zu. Meine Güte, sie provozierte ihn auch noch! Wusste sie es nicht besser? Gerade jetzt, wo er sowieso schon bis zum Zerreißen gespannt war, weil seine Erfindung sich in den Händen eines Wahnsinnigen befand.
Bergmans Gesicht sah aus, als hätte er es in eine Vaku- ummaschine gesteckt. Seine Wangenknochen schienen sich sogar zu berühren. Da ich befürchtete, dass er, wenn er sich auf sie stürzte, entweder aus dem Boot fallen oder ein Loch in den Boden schlagen würde, beugte ich mich vor und tätschelte sein Knie. Fest.
»Sie macht nur Spaß, Bergman. Deine Erfindungen sind lebensnotwendig für uns.«
»Das war kein Witz«, murmelte Cassandra.
Heilige Scheiße, was ist heute Abend nur mit ihr los? Es ist das Piratenoutfit; ganz bestimmt. »Cassandra«, mur- melte ich zurück, »ich weiß, dass du ungefähr ein Jahrtau- send älter bist als ich. Aber glaub mir, das ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Magie-gegen-Maschine-Dis- kussion. Bergman ist momentan nicht die Art von Katze, die du mit einem Stock traktieren solltest.«
»Nicht mal ein bisschen?«
Da meine Lippen noch brannten von meiner letzten Vampir-Reizaktion, sagte ich ernst: »Nicht einmal das.«
»Sieh mal, Jaz.« Cole deutete auf Chien-Lungs Jacht, der wir uns gerade längsseits näherten. In großen schwar- zen Lettern war der Name aufgemalt: Constance Malloy . »Damit hatte ich nicht gerechnet. Du etwa?«
»Hm. Ein chinesischer Vampir auf einer irischen Jacht. Nein, darauf wäre ich nie gekommen.«
Vayl brachte uns zum Heck der Jacht, das fast auf Was- serhöhe eine Einstiegsöffnung mit einer kleinen Plattform hatte. Cole vertäute uns, und wir drei begannen damit, unsere Sachen auf das Minideck umzuladen. Durch eine Glastür konnten wir Metalltische und Bänke erkennen. Zweifelsohne der Speisesaal der Crew. Er wirkte ungefähr so gemütlich wie die Cafeteria im St.-Marys-Kranken- haus in Cleveland.
Zwei Leitern, die neben der Tür angebracht waren, führten zum Hauptdeck. Ich überlegte gerade, ob es wohl schlau wäre, hochzusteigen und mich mal umzusehen, als ich einen Geruch wahrnahm, der mich die Nase rümp- fen ließ.
»Wir bekommen Gesellschaft«, raunte ich, als ich Vayl die letzte Kühlbox
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