Man lebt nur ewig
dankte meinem Glücksstern, dass es in die richtige Röhre lief. »Wirklich? Ich meine, echt, wirklich? Bergman, das ist fantastisch!«
»Na ja, es ist noch nicht ganz sicher …«
»Junge, wenn irgendjemand das schafft, dann du.«
Mir war nicht bewusst gewesen, wie sehr er sich hängen gelassen hatte, bis er sich aufrichtete. »Danke. Dann fange ich wohl besser mal an.«
»Großartig.«
Sobald Bergman außer Hörweite war, sagte Vayl: »Ich werde dir ein paar Pompons und ein Faltenröckchen kau- fen …«
»Hey, wenn Bergman einen Cheerleader braucht, soll er einen haben.«
Vayl neigte den Kopf und lächelte boshaft. »Ich dachte nur, vielleicht brauche ich ja auch einen Cheerleader.«
Cassandra stand ruckartig auf. »Wenn sich das Ge- spräch jetzt so entwickelt, verziehe ich mich besser.«
»Sie will auch Pompons haben«, erklärte ich Vayl.
»Bestimmt nicht!« Wenig später hörten wir, wie sich die Tür des Wohnmobils hinter ihr schloss.
»Oh, Mann.« Ich ließ den Kopf so weit wie möglich zurücksinken. »Ich bin so fertig. Und weißt du, was daran so traurig ist?«
»Was?«
»Ich bin die einzige Person meines Alters, die ich kenne,
die das von sich sagen kann, ohne einen Zombie zu viel gehabt zu haben.« »Brauchst du Schlaf?«
Ja, zur Hölle! »Nö.«
»Willst du David besuchen?«
Ganz sicher nicht. Ich sah in den weiten Himmel über Texas hinauf und dachte an das goldene Band, das sich darüber spannen würde, wenn ich ihn mit anderen Au- gen betrachtete. Es verband mich mit meinem Zwilling, und ich konnte es als Wegweiser benutzen, um ihn zu besuchen, wann immer mir der Sinn nach einer außer- körperlichen Erfahrung stand. Das ist gefährlicher, als es klingt. Doch das war nicht der Grund, warum ich zö- gerte.
Ich wandte den Kopf und nahm den Anblick des Vam- pirs in mich auf, der mich öfter von der Kante zurückge- holt hatte, als ich sagen konnte, das letzte Mal keine zwei Monate zuvor, als das Jahr noch jung gewesen war und ich befürchtet hatte, diesmal endgültig den Verstand ver- loren zu haben. Ich hatte Angst, dass dieser Trip mich wieder genau dahin zurückbringen würde. Ich öffnete den Mund, und meine Lippen brannten bereits aufgrund der Schwierigkeit, die Worte auszusprechen, die ich sagen musste. »Ich habe das Gefühl, dass die Wunde von damals endlich anfängt zu heilen. Es erscheint mir nicht klug, das alles wieder aufzuwühlen. Das ist so, wie wenn man an alten Wunden herumkratzt. Was ist daran schlau?«, fragte ich ihn.
Er musterte schnell meine frischen Verletzungen, die trotz der Schmerzmittel, die Dr. Darryl mir verschrieben hatte, alle wehtaten. »Vielleicht können sie nur so wirk- lich heilen«, schlug er vor. Er sah mir in die Augen. Ich hatte noch nie eine solche Offenheit in seinem Blick gese-
hen. »Das würde ich mir für dich wünschen.« Er zog die Augenbrauen hoch, als hätte er hinter einer inneren Tür etwas Überraschendes entdeckt. »Selbst wenn es auf mei- ne Kosten ginge, wünsche ich mir, dass du wieder völlig heilst. Vielleicht kann David dir dabei helfen, den Weg zu finden.«
Ich seufzte. Jetzt ging es mir ein wenig besser, doch nicht gut genug, um meinem rotierenden Magen oder meinem rasenden Herzen diesen Trip schmackhaft ma- chen zu können. »Ich sollte gehen.«
Vayl lehnte sich vor, und seine Präsenz legte sich um mich wie eine Decke. »Ich werde genau hier, an deiner Seite sein.«
Ich nickte nur, unfähig, meine Dankbarkeit für seine Anwesenheit in Worte zu fassen. Ich wollte mich in mich zurückziehen wie eine Schildkröte, als könnte das ein wenig zusätzlichen Schutz vor dem bieten, was vor mir lag. Doch mein genähtes Bein spielte nicht mit. Und der Liegestuhl auch nicht. Schließlich schloss ich einfach die Augen und ließ den Kopf hängen.
Ich konnte mich noch gut an die Worte erinnern, die Raoul mir mitgegeben hatte, als ich das letzte Mal außer- halb meines Körpers gereist war. Damals war es um das Schicksal meines Landes gegangen. Offen gesagt waren mir solche Umstände lieber als diese hier. Nun murmelte ich die Worte vor mich hin und konzentrierte mich dabei auf Davids Gesicht, seine hohe Stirn, die scharf blicken- den grünen Augen, die Lippen, die nicht lächelten, und das dunkelbraune Haar, in dem eine Spur von Rot lag. Ich schoss aus meinem Körper wie eine Rakete. Ich hatte vergessen, wie schnell ich mich außerhalb der phy- sischen Existenz bewegen und in was für einen Rausch mich der Flug durch Zeit und Raum
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