Man lebt nur ewig
Jacke. Strich ihr übers Haar. »Ungefähr einen Monat nachdem ich mich gemeldet hatte, wurde ich bei einer Trainingseinheit mit scharfer Munition erschossen«, er- zählte er leise, damit seine Männer es nicht hören konn- ten. »Während sie versucht haben, mich wiederzubele- ben, war ich in einer Art Zwischenstation, auch wenn es für mich so aussah wie ein Hotelzimmer in der Gegend von Las Vegas.«
Verdammt. Auch wenn er direkt neben mir kniete, zer- riss es mir das Herz, wenn ich an meinen Bruder dachte. Tot. Egal wie vorübergehend es gewesen sein mochte,
dieser Zustand machte mich trotzdem fertig, wenn es um meine Familie ging. Mir wurde bewusst, dass ich im- mer davon ausgegangen war, als Erste zu gehen. Vor ihm. Lange vor Evie. Sogar vor Albert. Und wahrscheinlich war ich das auch. Ich war nur unerwartet wieder zurück- gekehrt.
»Also hat Raoul dir die Wahl gelassen?«, fragte ich in dem Versuch, Daves Erfahrung in meinem verschreckten Hirn auf die Reihe zu kriegen.
»Ja.«
»Und du hast dich dafür entschieden zurückzukom- men. Zu kämpfen.«
»Hier bin ich.«
»Ich …« Verdammt, es war schwer, das zu sagen. »Ich habe Probleme beim Schlafen. Also, der Schlaf ist eigent- lich okay. Aber was ich tue, während ich schlafe, ist weni- ger cool.«
»Wie etwa?«
»Durch geschlossene Fenster im ersten Stock zu sprin- gen.«
Sein Blick flog zu mir. Diesmal musterte er mich auf- merksam, und so wie er die Brauen zusammenzog, gefiel ihm nicht, was er sah. Er schüttelte den Kopf. »Wir sind beschädigte Ware, Jazzy.«
»Ich kann nicht mehr lange so weitermachen. Aber als ich hergekommen bin und gesehen habe, wie du Susan verloren hast, ist mir wenigstens klar geworden, was mein Hauptproblem ist.«
Er wartete.
Ich zuckte traurig mit den Schultern. »Ich glaube, nach- dem Matt gestorben ist, hat er genau wie du und ich mit Raoul gesprochen. Nur, dass er sich dafür entschieden hat, nicht zurückzukommen. Er hat mich nicht genug
geliebt, um zu bleiben. Unbewusst war mir das schon seit einer Weile klar, und, na ja, das bringt mich um.«
Ich spürte, wie eine mächtige Welle aus Schmerz und Wut sich aus einer Grube voller Leid erhob, die ich mir nie bewusst gemacht hatte. Wie eine reiche Schickse, die jeden Tag an demselben verhungernden Obdachlosen vorbeiläuft und mit ihren Absätzen auf dem dreckigen Asphalt den Rhythmus zu der Musik in ihrem Kopf stampft. Ich begann zu weinen, und mein nicht existieren- der Magen fühlte sich an, als hätte man mir mit Stahlkap- penstiefeln hineingetreten. Eine Weile lang konnte ich nicht sprechen. Ich hockte einfach da und heulte, wäh- rend Dave mir hilflos zusah.
»Er war da, solange er lebte, Jasmine. Das musst du ihm zugestehen. Nicht einmal die Bibel verlangt, dass Bezie- hungen über den Tod hinaus bestehen. Wenn du wütend sein willst, richte diese Wut auf das Arschloch, das ihn umgebracht hat.«
»Aber Matt ist dort, und ich bin hier. Was sagt das denn darüber aus, was wir hatten?« Mehr Geheule. Ich war wie dieser Geist in der Toilette in Hogwarts. Trauriges, jäm- merliches kleines Mädchen.
»Er hat dich geliebt. Du weißt das. Ich weiß das. Für ihn war es einfach wichtig weiterzuziehen.«
»Und was ist mit dem, was für mich wichtig ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich schätze, du und ich waren nie für diese Nummer mit Heirat, Kindern und Kabel- fernsehen bestimmt. Das ist mehr Evies Ding.«
»Natürlich nicht. Aber …«
»Herrgott noch mal, Jasmine. Du hättest überall hinge- hen können, um zu heulen. Warum bist du ausgerechnet hierhergekommen?«
Das ernüchterte mich, was wahrscheinlich auch der
Sinn dieses Ausbruchs gewesen war. »Du bist der Einzige, den ich kenne, der einen solchen Verlust überlebt hat. Ich dachte, ich könnte etwas von dir lernen. Du weißt schon, bevor ich das nächste Mal schlafe.«
Dave musterte mich nachdenklich. »Du bist ebenfalls eine Überlebende, Jaz. Du musst es nur akzeptieren.«
23
W ie bei der Haarentfernung mit Wachs ist es am besten, seine physische Form schnell und ohne Vorwar- nung wieder in Besitz zu nehmen. Ich begrüßte mich selbst mit einem Ganzkörperkrampf, der mich auf die Füße riss und mir einen solchen Schrei entlockte, dass die Mexikaner bestimmt glaubten, Texas hätte sich endlich von der Union losgesagt.
»Jasmine!« Vayl streckte die Arme aus, als erwartete er, dass ich jeden Moment zusammenbrechen könnte.
»Ich bin okay«, keuchte ich und beugte mich einen Augenblick vor,
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