Man lebt nur ewig
versetzen konnte, bei
dem es kaum etwas gab, das mich behinderte. Ich folgte dem gelben Lichtstrahl bis zu Davids Schulter. Und wenn ich ein wenig körperlicher gewesen wäre, als er den Kopf drehte, um Luft zu holen, bevor er sich wieder runter- beugte und mit der Mund-zu-Mund-Beatmung fortfuhr, hätte er im wahrsten Sinne des Wortes durch mich hin- durchgeschaut.
Die Frau, die seinen Atem brauchte, war eine von sei- nen Leuten, eine sonnenverbrannte Veteranin, deren blonder Pferdeschwanz sich auf dem schmutzigen Boden des verlassenen Hauses ausbreitete wie ein Lotusblatt auf einer Schleimpfütze. Um ihren zerfetzten Oberschenkel war eine Aderpresse geschlungen und ein blutiger Ver- band wand sich um ihren Kopf. Sie lag im Erdgeschoss in der Ecke, die am weitesten von der Fensterfront entfernt war. Fünf Männer und eine Frau in Wüstentarnkleidung hielten mit ihren M4 Maschinenpistolen durch diese Öff- nungen ein konstantes Sperrfeuer aufrecht. Einige von ihnen waren ebenfalls verwundet.
Ich hörte noch andere Waffen, darunter ein M249 Ma- schinengewehr, die im oberen Stockwerk abgefeuert wur- den. Für mich sah es so aus, als hätten sie einen Über- raschungsangriff geplant und wären dabei entweder in einen Hinterhalt geraten oder dem Gegner unterlegen gewesen. So oder so, sie hatten sich auf diese Position zurückziehen müssen. Die Schüsse wurden weniger, als Davids Einheit ein Ziel nach dem anderen erledigte. Of- fensichtlich traute er ihnen zu, ihren Job auch ohne di- rekte Aufsicht zu machen, denn er war eindeutig ander- weitig beschäftigt.
»Komm schon, Sergeant«, sagte David verzweifelt, während er mit den Handballen auf ihren Brustkasten drückte. »Komm schon, Susan. Bleib hier. Bleib bei uns.«
Dasselbe hatte ich zu Matt gesagt, ihn angefleht, als ich über seiner Leiche geweint hatte, in der Nacht, als Aidyn Strait ihn erstochen hatte.
Mein Gehirn schien zu platzen. Am liebsten hätte ich den Schmerz hinausgeschrien. Plötzlich hockte ich wie- der in der Vergangenheit, und mein Herz explodierte, als ich darum bettelte, dass Matt zu mir zurückkäme. Und ich stand neben Dave und wünschte mir, ich hätte Augen, um weinen zu können, als Susans filigraner Seelenkristall aus ihrem Körper aufstieg. Genau wie Matt. Sie ging an einen anderen Ort. Und genau wie meine große Liebe einen Teil von sich zurückgelassen hatte, ließ auch sie et- was zurück. Das leuchtend blaue Juwel, das ihr Sein aus- machte, drehte sich und zerbrach. Neun Edelsteine lös- ten sich aus dem Ganzen, flogen davon und fanden ihre Waffenbrüder und -schwestern. Diejenigen von ihnen, die im gleichen Zimmer waren, hielten kurz inne, um sie noch einmal anzusehen. Und dann schwebte der größte Teil von ihr hinauf und flog zur Sonne. A-tem-be-rau-bend. »Sie ist gegangen, Dave«, sagte ich.
Er sah zu mir hoch, und seine grünen Augen leuchteten in dem angespannten, gebräunten Gesicht. Ich sah es als ein Zeichen seines tiefen Leids, dass er nicht einmal über- rascht war, mich zu sehen. »Scheiße! Sie war unser ver- dammter Feldarzt!« Er war nicht sauer, weil sie ihren Arzt verloren hatten. Nur darüber, dass sie vielleicht ei- nen von den anderen hätte retten können, falls jemand ähnliche Verletzungen erlitten hätte. Ich ging neben ihm in die Hocke. Das Geschützfeuer hatte nachgelassen. Das Geräusch sich nähernder Hubschrauber signalisierte bal- dige Rettung. In ein paar Minuten würden sie landen, Davids Einheit würde hier rauskommen, und das Leben würde weitergehen. Doch jetzt saßen wir neben Susans
Leichnam, trauerten um sie, und ja, auch um den Rest unserer Toten. Es hatte in unserem Leben schon zu viele davon gegeben. Mom und Großmama May. Matt und Jesse. Die Helsingers.
»Habe ich dir erzählt, dass ich bei dem Helsinger-Mas- saker unter den Opfern war?«, fragte ich ihn. »Aidyn Strait hat mir das Genick gebrochen.«
»Ja.«
»Habe ich?«
»Ja. Als wir telefoniert haben.«
»Wann war das?«
»An dem Tag, als Dad mir erzählt hat, dass du im Kran- kenhaus liegst.«
»Tut mir leid, ich erinnere mich nicht daran.«
»Du warst ziemlich neben der Spur. Sie hatten dir so viel Morphium verpasst, wie du gerade noch vertragen konntest.«
Hm. Ich frage mich, was damals noch alles passiert ist, woran ich mich nicht erinnern kann. Muss daran denken, jemanden zu fragen, dem ich vertrauen kann. Bestimmt nicht Albert. »Dann weißt du also von Raoul?«
»Bin ihm begegnet«, sagte er trocken. Er schloss Susans
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