Man lebt nur ewig
etwas auf Chine- sisch und schaute hilfesuchend zu Ge.
Obwohl Lai brabbelte und gurgelte, als hätte er etwas Wichtiges zu sagen, blieb Ges Blick an den Augen ihres Mannes hängen, während sie ihren Sohn hereintrug. »Ich glaube, das Wort ist ›böse‹«, flüsterte sie.
Dieses eine Mal wollte Baby Lai nicht spielen. Er schien zu spüren, dass in seiner Welt etwas ganz und gar nicht stimmte. Obwohl Ge ihn in einem Kreis aus faszinieren- den Spielzeugen absetzte, krabbelte er direkt über sie hin- weg auf seinen Vater zu, der ihn sofort hochnahm. Sie schienen beide dankbar zu sein für die körperliche Nähe.
Mir fiel absolut nichts ein, womit ich diese wundervol- len Menschen hätte trösten können, also beschloss ich, mein Ding durchzuziehen und dann so schnell wie mög- lich zu verschwinden. Je schneller ich weg war, umso schneller konnte der Heilungsprozess beginnen. »Wu sagte, Sie hätten einen Abholschein von der Reinigung für mich.«
Shao nickte. Er kramte in seinem Portemonnaie und übergab mir den Zettel. »Was werden Sie tun?«, fragte er.
»Es tut mir leid, Shao. Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Er nickte und wischte sich immer wieder die Tränen ab, während er das Portemonnaie wieder in die Tasche schob. »Mein Bruder jetzt schlimmer als tot«, sagte er und sah mich plötzlich voller Härte im Blick an, während seine Wut und sein Akzent zunahmen. »Er gefangen. Niemals frei, erst durch Tod. Sie es beenden, lassen sei- ne Seele aufsteigen, sodass seine Familie ihn kann ehren, wie es sollte richtig sein!« Er stand auf und schob sich Lai auf einen Arm, während Ge ihre Hände um den ande- ren schloss. »Bitte verstehen«, sagte er ernst, »Chinesen ehren alle ihre Vorfahren. Sehr alte Tradition. Wu muss Ehre haben!« Was er mir mit Worten nicht sagen konnte, las ich in seinem Gesicht. Das war für ihn so wichtig wie atmen.
Plötzlich konnte ich nicht mehr sprechen. Meine Kehle verschloss sich einfach vor der schrecklichen Realität, dass ein Mann dazu gezwungen war, jemanden darum zu bitten, seinen Bruder zu töten, damit dessen Seele befreit wurde. Doch Shao sah die Antwort in meinem Blick und nickte grimmig.
»Wir müssen gehen«, sagte Cole sanft. Er nahm meine Hand, zog mich vom Sofa hoch und führte mich aus dem Heim der Xias.
Er suchte uns ein Taxi, brachte uns zu der Reinigung und bezahlte sogar die Rechnung. Wir sagten die ganze Zeit über kein Wort. Schließlich, als wir zum Festivalge- lände zurückkehrten, meinte er: »Was glaubst du, wie ge- langen Dämonen überhaupt in den Körper ihres Wirts?« Die Frage überraschte mich. »Ich bin immer davon aus- gegangen, dass die Opfer einfach zur falschen Zeit am falschen Ort sind.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Cole. »Seit Shao uns das von Wu erzählt hat, denke ich darüber nach. Ich meine, du musst eine Wahl treffen, um ein Vampir zu werden. Vielleicht ist es mit Besessenheit genauso.«
»Versuchst du, mir diesen Mord leichter zu machen?«
Cole dachte über meine Frage nach. »Eigentlich glaube ich, ich versuche, es mir leichter zu machen.«
Wir näherten uns dem Wohnmobil. Der vereinbarte Zeitpunkt für das Treffen mit Wu rückte näher, aber wir hatten noch einen Moment Zeit, um uns auf einer schwar- zen Metallbank mit Blick auf die Bucht niederzulassen. Ich nahm Cole am Arm, führte ihn hin und legte die Sa- chen aus der Reinigung zwischen uns.
»Okay, das ist deine Chance. Und es könnte die einzige sein«, sagte ich, »also schlage ich vor, dass du sie ergreifst. Frag mich etwas. Alles, was du willst.«
Er starrte auf die blauen Wellen hinaus, als er fragte: »Wird es irgendwann leichter?«
Ich dachte an Vayls Ex. »Bei manchen ist es leichter als bei anderen.«
»Hat man irgendwann keine Angst mehr?«
Puh, gute Frage. Ich dachte an meine bisherige Karriere zurück. »Ja, es gibt Zeiten, in denen man keine Angst mehr hat. Bei anderen Gelegenheiten kriegt man die Angst ein- fach in den Griff. Wenn man einen Job gut macht, hilft das.
Wenn man versagt, verletzt man damit sich selbst und alle in seiner Umgebung.«
Er kratzte sich die feinen Bartstoppeln, die sein Gesicht überzogen, da er heute Morgen vergessen hatte, sich zu rasieren. Er konnte mir immer noch nicht in die Augen sehen, als er fragte: »Glaubt du, dass ich in diesem Job gut sein werde?«
»Wenn … Ja, ich denke du wirst dich gut schlagen.«
»Was wolltest du zuerst sagen?«
Seufz. Ich muss wirklich lernen, die Leute, die mir wichtig sind, zu
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