Man lebt nur zweimal
auch angestrengt. Faule Ausreden, wenn mir etwas nicht gelingt, liegen mir nämlich genauso wenig. Man braucht natürlich schon einen starken Willen dazu, mit dem Joggen anzufangen oder sich herunterzutrinken oder zu Casting Nummer 101 zu gehen, wenn bei Papi ein gemütlicher Firmensessel winkt. Und man darf auch nicht bei allem, was einem nicht gelingt, gleich sagen: »Man hat mir als Kind ein Vanilleeis verweigert, und deshalb bin ich so wahnsinnig verkorkst.«
Ich finde nur, man muss vorsichtig sein in der Beurteilung der Misserfolge anderer. Weil fast kein Mensch von der gleichen Basis aus startet. Wer mich zum Beispiel vergleicht mit Menschen, die ähnlich schwer gesündigt und gesellschaftlich so ein Randleben geführt haben mit Drogen und Alkohol und Hurerei und Rauchen und alldem, der sollte bedenken, dass jeder Mensch grundsätzlich bei anderen Voraussetzungen anfängt. Jeder fängt diesen Marathonlauf namens Leben von unterschiedlich weit entfernten Startblöcken zu laufen an. Mit unterschiedlichem Schuhwerk und bei unterschiedlichem Wetter. Dann zu sagen: »Na ja, ich bin halt stärker gewesen als die«, das wäre unfair. Viele waren barfuß unterwegs oder bei strömendem Regen und Gegenwind. Die hatten beispielsweise ganz viele Möglichkeiten nicht, die mir das Aufhören erleichtert haben – den guten Job, eine tolle Frau, ein eigenes Fitnessstudio im Haus.
Selbst meine berufliche Karriere verdanke ich keinem besonderen Geschick oder gar einer Strategie – sondern vor allem glücklichen Zufällen. Dass ich ein gewisses Talent für die Schauspielerei habe, ist auch so einer. Manchmal reicht es, wenn man im Leben zwei, drei Mal Glück gehabt hat. Dann läuft es fast von allein.
Selbst die Rolle in Männer , die vermutlich mein großer Durchbruch als Schauspieler gewesen ist, hätte ich um ein Haar verpasst, weil ich störrisch um 2000 Mark im Rückstellungsbetrag gefeilscht habe. Ich hätte mich sicherlich wahnsinnig geärgert später, aber es fehlte nicht viel, und es wäre daran gescheitert. Schon dass ich überhaupt besetzt worden war, verdankte ich gleich zwei Zufällen. Zum einen, dass Doris Dörrie damals eine Freundin von mir auf der Straße traf, die soeben mit mir gedreht hatte und dann der Tatsache, dass zuvor der ursprünglich angefragte Peter Sattmann wegen eines anderen Engagements abgesagt hatte.
Was, wenn es bei den anderen Erfolgsmenschen genauso war, also zu großen Teilen Zufall und glückliche Fügung? Die Menschen, die auch alles richtig gemacht haben, aber kein Glück gehabt haben, die fragt eben keiner nach ihren Rezepten. Und so entsteht die Legende vom: »Jeder ist seines Glückes Schmied.« Die den Glücklosen natürlich noch ein zweites Mal in den Nacken schlägt. Einmal haben sie keinen Erfolg, und dann sind sie auch noch selbst schuld dran.
Natürlich gibt es auch die, die bei herrlichem Wetter und mit dem besten Schuhwerk mit dem Wettlauf anfangen. Nach 300 Metern machen sie dann erst mal ein Päuschen und gehen in eine Kneipe. Damit es schön gemütlich wird, streifen sie die Schuhe ab und lassen sie draußen vor der Tür. Nachdem sie ein paar Drinks zu sich genommen und mit dem Wirt ein bisschen gequatscht haben, kommen sie raus und wundern sich, dass ihre Schuhe weg sind und es angefangen hat zu regnen.
Wenn ich überhaupt einen Rat geben sollte, kann ich nur vermuten, dass man dem Glück wohl möglichst viele Chancen einräumen sollte. Sprich: Immer wieder zum Casting gehen. Immer wieder ernsthaft versuchen, mit dem Trinken aufzuhören. Immer wieder ausgehen, um eine gute Frau oder einen tollen Mann zu treffen. Irgendwann muss es klappen.
Glück kann man nicht erzwingen. Und man darf sich umgekehrt auch nicht ärgern, wenn etwas schiefgeht. Die meisten Leute unterschätzen, wie oft das im Schnitt passiert und fühlen sich dann persönlich vom Pech verfolgt. Ich habe mir ja zum Beispiel im Sommer 2012 die Achillessehne gerissen. Natürlich war das Mist, ich habe mich auch geärgert. Ausgerechnet am Anfang des Sommers musste das passieren, obwohl ich mich doch so auf ihn gefreut hatte und so viel unternehmen wollte. Aber ich sage das auch meinen Kindern. Wenn euch so was widerfährt, dann denkt ihr euch: Im Leben gibt es eine Liste von Dingen, die unweigerlich passieren, die muss man sozusagen abarbeiten. Im Schnitt kommt man dann zum Beispiel auf 12 Zähne, die aufgebohrt werden, 150 Erkältungen, dreißig Grippen, zwei Brüche, zwanzig tote Haustiere, vier Dellen im
Weitere Kostenlose Bücher