Man lebt nur zweimal
die brav ihren Text aufsagen und vor allem beweisen wollen, dass sie jede einzelne Silbe richtig betonen können.
In dem Willis-Film spielte ein Junge mit, der mir damals schon sehr gut gefallen hatte. Nach einer Weile stoppte ich das Gerät.
»Siehst du den Unterschied?«
Maya sah mich fragend an.
Der Junge machte fast gar nichts. Betonte kaum. Sprach nur in einer Stimmlage. Er erzählte alles über seine Augen. Dabei war er sehr konzentriert und wach. Ja fast geheimnisvoll.
»Gefällt dir, wie der Junge spielt?«, fragte ich meine Tochter.
»Ja« sagte sie.
»Weißt du, was sein Geheimnis ist?«
»Seine Gage?«
Ich sah sie streng an. »Er hört zu.«
»Wie, er hört zu?«
»Er liefert nicht nur seinen Text auf sein Stichwort, sondern er hört seinem Gegenüber richtig zu. Das sehe ich. In seinen Augen.«
Maya nickte, probierte es noch mal. Das mit dem Zuhören klappte jetzt schon besser. Aber immer noch waren da Betonungen, die mir nicht gefielen.
»Fang bloß nicht an mit dem Rumsingen«, sagte ich und erklärte ihr, was ich damit meinte. Übertriebenes Sprechen mit viel zu vielen Betonungen welches dann in einem Singsang endet. Man hört das oft in schlechten Synchronisationen von noch schlechteren, billigen Serien.
Als ich in den 1970er Jahren jeden Tag synchronisierte, gab es einen Synchronregisseur mit dem Namen Wolfgang Schick. Ein alter Hase, der unendlich viele Filme und Serien als Regisseur synchronisiert hatte. Es kam vor, dass er seine Sprecher schon mal allein ließ und mit dem Kommentar verschwand: »Ich bin jetzt mal ’ne Weile weg. Ihr könnt alles machen, nur nicht singen.«
Meine kleine Tochter sah mich verliebt an. Sie mag es, wenn ich ihr Geschichten aus meinem Beruf erzähle.
»Ich möchte später auch so was machen wie du«, sagte sie und setzte sich auf meinen Schoß.
»Noch was, sprich die ›tes‹ am Ende nicht mit. Sag lieber ›nich‹ statt ›nicht‹. Später kannst du das wieder relativieren, aber für den Anfang ist das eine ganz gute Hilfe.«
Wir guckten auf den Text. »Und hier«, sagte ich und zeigte auf die nächste Zeile. »Anstatt: ›Du riefst mich doch an und sagtest‹, wie es im Text steht, sagst du besser: ›Du hast mich doch angerufen und hast gesagt‹. So wie du das auch zu einer Freundin sagen würdest.«
Das sind Kleinigkeiten, aber sie helfen enorm. Mit ein paar simplen Faustregeln kann man bei so einem Casting gleich viel natürlicher auftreten.
So oder so, sie hat die Crew gleich überzeugt. Eigentlich war sie für eine andere Rolle gecastet worden, aber da hätte sie zu einem Jungen sagen müssen: »Ich liebe dich.« Das wollte sie nicht. Schon ein bisschen eigenwillig, mein Mädchen. Aber zum Glück fand das Team sie so gut, dass sie ihr einen anderen Part angeboten haben. Die Produktion und der Autor haben einfach aus einer Jungen- eine Mädchenrolle gemacht, die Maya dann spielen konnte. Sie muss das Vorsprechen wirklich gut hinbekommen haben, sonst hätte sich die Produktion kaum die Mühe gemacht.
Ein bisschen spekulieren sie vielleicht auch darauf, dass ihnen der prominente Name mehr Presse bringt, zumal ich in dem Film dann auch mitgespielt habe.
Aber ich bin mir sicher, dass Maya die Rolle auch so bekommen hätte, selbst wenn sie als Lieschen Müller aus Hintertupfing zum Casting gegangen wäre. Der Film ist mittlerweile abgedreht und alle waren begeistert von meinem Kind. Ich übrigens auch. Wir hatten zwar nicht so viele Szenen miteinander, aber ich konnte sie trotzdem öfters beobachten, wie sie spielte und vor der Kamera agierte. Ich hab da wirklich viel Talent gesehen. Vielleicht ist das ja doch vererblich.
Anfangs war ich nur dafür, weil ich mir von Mayas Gage ein zweites Auto kaufen wollte. »Sollen die Kinder doch auch etwas zum Broterwerb beitragen, wird ja langsam mal Zeit.« – Nein, das habe ich natürlich nur zum Scherz gesagt, als die Produktionsfirma bei uns angerufen hat, um uns die frohe Botschaft zu überbringen, dass Maya besetzt ist. Meine Tochter hat sich riesig gefreut. Viktoria wollte auch sofort zusagen. Ich habe einen Augenblick lang gezögert. Wir haben dann gemeinsam die Vor- und Nachteile abgewogen.
Einerseits denke ich ja: Ein möglichst normales Leben zu führen, ist im Grunde der höchste Garant für das spätere Glück. Und das gilt für Kinder im besonderen Maße. Sie sollten möglichst normal aufwachsen. Mit zehn Jahren über den roten Teppich zu laufen ist sicherlich nicht förderlich für die
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