Man lebt nur zweimal
oder lieber nicht? So habe ich eines Tages beschlossen: Ich mache nur noch, was ich meinen Kindern hinterher berichten kann, ohne mich zu schämen.
Ich lebe heute so hochgradig anständig, dass es mir fast schwerfällt, einen Fall zu konstruieren – aber mal angenommen: Ich touchiere mit dem Rad ein parkendes Auto und beschädige dabei Lack und Seitenspiegel. Und zwar handelt es sich um ein richtig schlimmes Auto, so einen Gelände-Porsche zum Beispiel, der schon zwei Tankladungen verbraucht, nur um sein Frauchen ins nächste Kosmetikstudio zu bringen.
Angenommen, mir käme unter Umständen kurz der Gedanke: »Der Fahrzeughalter nagt ganz sicher nicht am Hungertuch. Es hat keiner gesehen. Sieh zu, dass du Land gewinnst!«
Sagen wir weiterhin, um den Fall noch zu verschärfen: Die Benzinschleuder steht auch noch im Halteverbot. Mitten auf dem Gehsteig. Auf einem Frauenparkplatz. Für Behinderte! Also für behinderte Frauen. (Gibt’s nicht? Egal.) Außerdem hat sie einen dieser Aufkleber auf dem Heck, die ich so dämlich finde: »Ich bremse auch für Männer« oder »Ich fahre nie schneller als Vollgas!« oder »Wer später bremst, fährt länger schnell«. Habe ich die Diddle-Maus-Figur erwähnt, die am Rückspiegel baumelt? Den Fortuna-Düsseldorf-Aufkleber an der Heckscheibe?
Diese Orgasmus-Kugeln auf dem Fahrersitz? Den Wackel-Dackel im Heck? Mein Zusammenstoß wird langsam zu einer Heldentat.
Ah, die sehe ich jetzt erst: Auf dem Beifahrersitz kläffen zwei übergewichtige Pekinesen mit Goldspange im Pony, die kurz vor dem Erstickungstod stehen.
Der gewissenlose Fahrzeug- und Hundehalter hat offensichtlich vergessen, einen Fensterspalt Luft in den Wagen hineinzulassen. Eigentlich müsste ich ihn anzeigen.
Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich ganz kurz verführt, einfach weiterzufahren.
Aber würde ich das dann meinen Kindern erzählen? Würden sie das mit dem Aufkleber verstehen? Könnte ich vielleicht wegen der Hunde-Geschichte ein paar Sympathiepunkte für mich verbuchen?
Ich würde ihnen natürlich lieber erzählen, ich hätte den Unfall angegeben.
Obwohl die Besitzerin des Porsches – eine Strähnchen tragende 50-jährige Immobilienmaklerin mit Schweizer Nummernkonto – nachher auch noch versucht, mir eine andere, alte Schramme anzuhängen und am Ende sogar die Fassadensanierung ihrer Ferienwohnung auf Capri auf die Rechnung setzt – ich bin sehr froh über meine moralische Integrität. Abgesehen davon, dass ich am Ort der Tat erst einmal Stunden damit verliere, auf die Polizei zu warten, um mir von denen dann Tiraden übers Radfahren anzuhören.
»Danke, Kinder!«, sage ich trotzdem, »dass ihr so einen anständigen Menschen aus mir gemacht habt.«
DIE EISLAUF-MAMI
Maya ist schon seit einiger Zeit in zwei Schauspielworkshops. Viktoria ist da ein bisschen hinterher. Nicht übermäßig, aber ich nenne sie manchmal »Eislaufmami«, um sie zu ärgern.
Sie will halt, dass es allen gut geht. Und dass die Kinder etwas finden im Leben, das ihnen liegt. Ich finde das auch grundsätzlich gut. Zumal Maya riesigen Spaß hat am Schauspielunterricht.
Über diesen Workshop kam irgendwann die Anfrage, ob Maya nicht an einem Casting teilnehmen möchte für einen Kinderfilm. V8 sollte der heißen. Und als Viktoria das gehört hat, war sie gleich begeistert. »Los, dann machen wir das doch!«
Na gut, wenn Maya nun schon mal dahin gehen wollte, dann sollte sie das auch möglichst gut machen. Schließlich haben wir ja eine Familienehre zu verteidigen. Also habe ich ein bisschen mit ihr geübt.
Eigentlich ist es kein großes Geheimnis, was man da beibringen kann für so ein Vorsprechen. Das sind ganz einfache Kniffe. Aber sehr wirkungsvoll.
Wir haben uns also ins Wohnzimmer gesetzt mit dem Text und ich habe gesagt: »Na, dann lass mal hören!«
Maya fing an, ihren Text aufzusagen. Ich unterbrach sie nach dem ersten Satz.
»Würdest du den Satz normalerweise so sagen?«, fragte ich sie. »So betonen? So übertrieben?«
Maya schüttelte den Kopf.
»Warte mal«, sagte ich. Ich kramte ein wenig in meiner DVD -Sammlung. Ich suchte einen Film mit einem Kind und entschied mich letztlich für einen Bruce-Willis-Film.
Ich spulte ein wenig vor. Wir schauten uns ein paar Minuten lang zusammen den Film an.
Die Amerikaner machen das ganz gut, finde ich. Ich habe das Gefühl, in Deutschland behandelt man Kinder manchmal immer noch wie in den Filmen der 1950er-Jahre – sie wirken ein wenig wie dressierte Äffchen,
Weitere Kostenlose Bücher