Man lebt nur zweimal
Gebettel noch erweichen lässt, nur weil er endlich seine Ruhe haben möchte, muss sich nicht wundern, wenn es die Debatte von da an täglich gibt.
Und obwohl Goethe ja den schönen Satz geprägt hat: Wer einen guten Charakter hat, braucht keine Prinzipien – ein Prinzip habe ich doch, es ist auch der einzige Grundsatz, den ich meinen Kindern mitgebe, sozusagen als erstes und einziges Gebot: »Du kannst fast alles machen im Leben, solange du anderen Leuten nicht auf den Wecker gehst.« Das halte ich für eine ganz gute Maxime.
Am besten fängt man da doch schon mal mit seinen eigenen Eltern an.
Bei der Erziehung versuche ich, das Alltags-Gemecker nicht allein der Viktoria zu überlassen und so ein extrem kluger Feierabendpapi zu sein. Es ist relativ einfach, ein superbeliebter Vater zu sein, wenn man immer nur für die netten, tollen Sachen zuständig ist, während die Frau die Kinder den ganzen Tag an den Hacken hat.
Die Mutter darf dann 24 Stunden meckern und schimpfen, während die Kinder immer mehr dagegen abstumpfen. Der Superpapi poltert dann abends mit sonorer Stimme heim und sagt: »Was brüllst denn du die Kinder so an?«
Wobei das bei uns ja auch gar nicht so extrem ist wie in der klassischen 50er-Jahre Familie, wo der Vater abends von der Maloche nach Hause kommt, das Abendbrot steht schon auf dem Tisch und er bringt die Kleinen vielleicht gerade noch ins Bettchen.
Wir versuchen uns immer aufzuteilen: Einer ist der good cop und der andere der bad cop. Wenn der eine gerade streng war und böse mit ihnen, dann haben sie immer noch den anderen, um sich ein wenig auszuweinen. Und das versuchen Viktoria und ich halbwegs ausgeglichen zu halten. Dennoch bin ich generell ein bisschen strenger mit den Kindern, und sie haben wohl auch etwas mehr Respekt vor mir, allein schon durch die Stimme. Als sie noch klein waren, genügte ein: »Jetzt ist aber Schluss!«, und schon waren sie eingeschüchtert.
Die Kinder finden natürlich unheimlich schnell heraus, wie man mit etwas Charme, Kalkül und über Bande stets das Beste für sich herausschlägt. Gott sei Dank sind sie dabei in den meisten Fällen sehr einfach zu durschauen. Wenn Vito beispielsweise morgens zu mir kommt uns säuselt:
»Liebster Papili auf der ganzen, großen, weiten Welt, magst du ein dickes Guten-Morgen-Bussi?« Dann würde ich ein Hochhaus darauf setzen, dass irgendwas im Busch ist. Entweder, er will eine »Ausnahme«, oder ich soll ihn irgendwo hinfahren. Oft fragt er auch nach etwas, das meine Frau ihm vorher schon verboten hat. Kinder versuchen eben gerne, ihre Eltern gegeneinander auszuspielen.
Dieser »Liebster Papili auf der ganzen, großen, weiten Welt«-Satz hat übrigens einen konkreten Ursprung.
Wenn die Kinder morgens in die Küche kommen und mit irgendwas beschäftigt sind, vergessen sie schon mal »Guten Morgen« zu sagen. Dann sage ich extra laut:
»Guten Morgen, Vito.« Meist kommt dann ein vernuscheltes:
»Morgen.« Dann sage ich wieder laut:
»Aaahh, das sollte sicherlich ›Guten Morgen liebster Papili auf der ganzen, großen, weiten Welt‹ heißen?!« Dann kommt wieder ein vernuscheltes:
»Genau.« Das war’s dann. Wenn sie was wollen, wissen sie aber auf einmal, wie’s sich gehört.
Wenn sich Viktoria und Maya streiten, kommt Vito auch mit Vorliebe auf seine Mutter zugestürmt, umarmt sie und sagt: »Mama, ich habe dich ganz besonders lieb.« Und dann wird Maya natürlich erst richtig sauer. »Vito, du bist so ein schlimmer Schleimer, das schleimt bei dir aus allen Löchern.« Vito hat den dahinterliegenden Mechanismus schon sehr klug beobachtet: ›Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.‹ Früh übt sich, wer es im Leben noch zu etwas bringen will.
Ich bin sehr bemüht, nicht das kleinere Kind, das natürlich in der Regel immer das noch niedlichere ist, auch nur andeutungsweise vorzuziehen. Da muss man sehr aufpassen. Auch das lernen die Kinder schnell – wie viel man durchgehen lässt unter dem Deckmantel der Niedlichkeit und des charmanten Auftritts. Und legen die Masche nie mehr ab, mitunter bis ins Rentenalter.
Ich habe umgekehrt für mich auch selbst eine Regel aufgestellt, die wiederum eng mit meinen Kindern zusammenhängt: Wenn ich vor einer kniffligen Frage stehe im Leben, ob ich etwas machen soll oder nicht, ob etwas, in meinem Sinne, rechtens ist, ob es meinen moralischen Vorstellungen wirklich entspricht, dann stelle ich mir immer vor: Würde ich das meinen Kindern erzählen wollen –
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