Man lebt nur zweimal
Schokolade und Stücke mit einer spannenden Handlung? Mein Gott, was bist du gewöhnlich!«
Viele Menschen fühlen sich zudem magisch angezogen von dem, was sie nicht begreifen können. Weil sie dahinter die allergrößten Geheimnisse vermuten.
So ergeht es mir mit der Astrophysik. Ich lese zwar hin und wieder Bücher darüber, aber wirklich verstehen tue ich da nichts.
Dann schaue ich fasziniert in den Abendhimmel und frage mich, was der Mensch eigentlich ist und der Weltraum und wie das mit dem Urknall wohl funktioniert haben könnte.
Der einzige Gedanke allerdings, der hier über unseren Köpfen schwebte, war: »Wie lange dauert denn das Stück?« und: »Gibt es eine Pause?« und: » WANN ?« Zu meiner Überraschung musste ich beim Applaus feststellen, dass gerade die Zuschauer, denen während der Aufführung die größte Hilflosigkeit anzusehen war, am lautesten »Bravo!« riefen. Ich fragte mich kurz, wen ich mehr verachtete. Den, der das verbrochen hatte, oder die, die jetzt so taten, als hätten sie verstanden, was nicht zu verstehen war.
Thieme, Vladi und ich trafen uns danach in der Kantine und es kam die unausweichliche Frage:
»Wie hat es dir gefallen?«
»Das darfst du einen wie mich nicht fragen«, sagte ich. »Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die solche Stücke am liebsten in Originalkostümen und mit dem richtigen Text sehen würden. Abgesehen davon, dass es ohnehin wenig Sinn macht, Shakespeare in einer anderen Sprache als Englisch zu spielen. Weil Shakespeare eben eine so unvergleichliche, kraftvolle und poetische Sprache hatte. Wohingegen die Inhalte der Stücke ja eher simpel sind. Apropos Inhalt«, fragte ich, »Warum spielst du den Othello als Weißen?«
Othello war doch schwarz und es ging in dem Stück eigentlich um Rassismus. Ich hatte das zumindest mal für das zentrale Thema gehalten.
Seine Antwort, ich muss es gestehen, habe ich schlicht vergessen. Sie war gewiss sehr klug und voller Visionen eines zeitgemäßen Theaters. Ich denke manchmal: Irgendwie wächst man in solche Sachen auch hinein, und Geschmack ist ja etwas, das sich durchaus verändern kann. Wer weiß, wenn ich in jungen Jahren zufällig auch an ein Theater gekommen wäre, das Kot und Blut für die wichtigsten Requisiten gehalten hätte, vielleicht hätte ich mich inzwischen auch ein bisschen daran gewöhnt und würde es heute vielleicht sogar verteidigen, wie der gute Thomas Thieme, der übrigens ein toller Schauspieler ist. Überhaupt kann man den Schauspielern wohl die geringste Schuld geben. Sie sind in der Regel weisungsgebunden. Obwohl ich bezweifle, dass man Menschen wirklich zwingen kann, ihre Gegenüber anzuspucken oder Schlimmeres mit ihnen zu treiben.
ES GIBT KEINEN KITSCH, NUR SCHLECHTE FILME
Wenn ich die unterschiedlichen Kunstformen gewichten sollte, ist die Wirkkraft eines Films verglichen mit Bildender Kunst oder Literatur viel stärker und emotionaler. Man hat eine mitreißende Story, ein schönes Bild, tolle Musik – damit kann man unglaublich starke Gefühle erzeugen. Ich habe schon so viele Menschen im Kino weinen sehen. Vor einem Gemälde oder einer Skulptur habe ich das noch nie erlebt.
Einem Film verzeiht man auch ein viel größeres Maß an Kitsch als beispielsweise einem Buch. Der Klassiker unter den Kitschfilmen, wenn wir sie denn so nennen wollen, dürfte wohl It’s a wonderful life ( Ist das Leben nicht schön ) mit James Stewart sein. James Stewart, der 1997 im Alter von 89 Jahren gestorben ist, steht laut dem American Film Institute auf Platz 3 der größten Filmschauspieler aller Zeiten. Er hat in seinen Rollen vor allem das Bild des aufrechten, anständigen Amerikaners geprägt. Ist das Leben nicht schön ist, nebenbei bemerkt, auch sein eigener Lieblingsfilm, von allen Produktionen, an denen er beteiligt war.
Er handelt von einem Mann, der sich das Leben nehmen will. Ein Engel beobachtet ihn und hält ihm vor Augen, was passiert wäre, wenn er nie geboren worden wäre. So begegnet er seinen Freunden, seiner Frau, die ihn natürlich alle nicht kennen, und er verzweifelt an der Situation. Der Film zeigt dem Zuschauer, wie wertvoll das Leben ist, nicht nur für einen selbst, sondern auch für all die Menschen, die einen lieben. Am Ende schenkt der Engel ihm sein Leben wieder und er kehrt dankbar in die Arme seiner Familie zurück.
Jedes Jahr um die Weihnachtszeit wird dieser Film wiederholt. Ich habe es noch kein Mal geschafft, am Ende nicht zu weinen.
Aber wie heißt es in
Weitere Kostenlose Bücher