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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Lauterbach
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Hof in München präsentierten. Insgesamt haben wir es ungefähr 180 Mal aufgeführt. Das ist ein langer Weg, den man gemeinsam zurücklegt. Da ist es unabdingbar, dass sich alle Ensemblemitglieder gut vertragen. Sie müssen zu einer eingeschworenen Gemeinschaft werden, in der jeder für den anderen da ist. Man kann sich schon ziemlich auf die Nerven gehen, wenn man jeden Abend spielen und im Bus durch die Lande touren muss. Wir hatten riesiges Glück, dass unser Konzept aufging. Vladi, Pasquale und ich hatten wirklich sehr lange gecastet und unser Augenmerk dabei nicht nur auf die Schauspielerei gelegt. Uns war es mindestens genauso wichtig, Menschen zu finden, die zueinander passten und denen wir ein hohes Maß an sozialer Intelligenz zutrauten. Jeden Abend, bevor der Vorhang aufging, stellten wir uns gemeinsam auf der Bühne auf und nahmen uns in die Arme. Dann musste ein Mitglied des Ensembles den neuesten Witz erzählen.
    Ich habe auch schon Teams erlebt, in denen sprach am Ende niemand mehr ein Wort mit dem anderen. Dafür wäre mir so eine Tournee zu lang, schlicht ein zu großer Betrag an Lebenszeit, den ich nicht so vergeuden möchte.
    Unsere Tournee und auch die Aufführungen an den festen Häusern wurde zu einem Erfolg, was nicht zuletzt daran lag, dass wir so arbeiteten, wie auch Shakespeare es mit seinen Stücken gehalten hatte: Wir verbesserten es bis zum letzten Tag, schraubten und bastelten nach jeder Aufführung am Text, an den Interaktionen, selbst an den Requisiten. Denn meist merkt man erst während des Spiels und vor Publikum, was wirklich funktioniert und was nur wir persönlich unheimlich komisch fanden, sonst aber niemand. Das kann man natürlich nur mit flexiblen Schauspielern machen, die da auch mitziehen. Am Ende stand kein Dialog mehr hinter dem anderen, wir hatten das Stück in großen Teilen neu geschrieben und inszeniert. Gut, das Stella Muller davon nichts mitbekommen hat.
    DER BESTE BERUF DER WELT
    Nach dem Casting wurde mir klar, wie stark sich meine eigene Einstellung zur Schauspielerei geändert hatte. Während ich früher in ihr primär ein Mittel zum Zweck gesehen hatte: Geld verdienen, in fremde Länder reisen, schöne Frauen kennenlernen, auf coole Partys gehen – sehe ich heute viel deutlicher, welches Privileg er darstellt. Und weil ich den Beruf heute ausschließlich um seiner selbst willen liebe, nehme ich ihn um ein Vielfaches ernster. Umso mehr überkam mich ein Anflug von Traurigkeit, mich in der Ignoranz und Überheblichkeit der jungen Kerle wiederzuerkennen.
    Ich lerne heute ganz selbstverständlich meine Texte. Überaus gründlich und rechtzeitig. Vielleicht war ich zu meinen wildesten Zeiten gar schlimmer als meine Casting-Kandidaten. Ich hätte vielleicht beim Vorsprechen einfach versucht, den Text vom Blatt zu improvisieren. Pünktlich wäre ich vermutlich auch nicht erschienen, von der Alkoholfahne ganz zu schweigen.
    Zu der weit verbreiteten Respektlosigkeit gegenüber dem Handwerk kommt oft noch etwas hinzu, was ich die »Pose des verkannten Genies« nenne, von der auch ich sicher nicht ganz frei gewesen bin. Man geht zwar zu einem Vorsprechen, aber man hat dabei eigentlich so ein Bild von sich selbst als Künstler vor Augen, das dem ganzen lästigen Prozedere schon grundsätzlich entgegensteht: Man ist so zum Bersten voll mit Talent und Genie, dass für einen schnöden Text eigentlich gar kein Platz ist. Ein echtes Genie hat eine fast körperliche Abneigung gegen jede Form von Mühe und Strebsamkeit. Es geht zwar selbstverständlich davon aus, dass ihm die großen Rollen der Saison ausnahmslos zugestanden hätten – wären da nicht diese Textpauker und Eiferer gewesen mit ihren ordentlich gekämmten Haaren und braven Gesichtern, die einem ständig die guten Rollen vor der Nase wegschnappten. Nicht, weil sie wirklich gut, sondern weil sie so besonders mittelmäßig und angepasst waren.
    Nichts ist so schädlich wie dieses Denken. Die Branche ist voll von solchen Leuten. Schließlich lässt sich der persönliche Misserfolg kaum heroischer erklären als mit der eigenen Genialität. Leider sucht aber niemand da draußen nach verkannten Genies. Zumal es genug Leute gibt, die sich anstrengen, vernünftig vorbereiten UND gut sind und trotzdem keinen Job bekommen. Davon mal abgesehen, dass die Leute, die strebsam und fleißig sind, es im Leben ohnehin immer weiter bringen als die genialen.
    In dem Woody Allen-Film Match Point denkt der ehemalige Tennisstar Chris

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