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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Lauterbach
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Hollywood? Es gibt nur gute und schlechte Filme, kitschige Filme gibt es nicht.
    Das sieht man an Streifen wie E.T. … Wahnsinnig ergreifend, natürlich hochgradig manipulativ, bespielt er perfekt die Gefühle des Zuschauers. Und dennoch würde niemand sagen, dass es ein schlechter Film ist. Die Amerikaner stehen zu ihren Gefühlen. Sie haben keine Angst vor Emotionen im Film. Da tun wir uns manchmal schwerer. Wenn das ein deutscher Film gewesen wäre, unser Kritiker hätte ihn wohl durch den Reißwolf gedreht.
    Man fragt mich immer, was denn so anders sei vor einer Kamera zu spielen im Vergleich zum Theater. Beim Arbeiten vor der Kamera ist faszinierend, dass das Bild so viel mehr an Emotionen hervorholen kann. Wenn man einen Schauspieler gut beleuchtet und eine intensive Musik darauflegt, kann allein sein Gesicht schon Bände erzählen.
    Bei einem sogenannten Close-up ist die Filmkamera in der Lage, die allerkleinste Regung des Gesichtes einzufangen. Nicht das feinste Zucken eines Augenlids wird ihr entgehen. Das ist für einen Schauspieler gleichermaßen Segen und Fluch. Ist er nicht gut, wird sie ihn entlarven. Gnadenlos. Sie wird seine Mittelmäßigkeit aufdecken wie einen schlechten Taschenspielertrick. Fehlt es ihm an Inspiration und Ausstrahlung, wird sein Spiel schnell langweilig. Nach einer Zeit, wir kennen das alle, kann es sogar nerven.
    Fängt die Kamera dagegen einen guten und charismatischen Schauspieler ein, lassen wir uns von seinem Anblick fesseln. Wir leiden oder freuen uns mit ihm und wünschen uns, die Kamerafahrt auf sein Gesicht möge niemals enden. Immer weiter, bis hinein in seine Seele würden wir am liebsten fahren.
    Wir Schauspieler wissen natürlich um die Wirkung, die wir erzeugen können, und hier lauert die nächste Gefahr. Nehmen wir mal an, man gehört zu den guten, charismatischen Akteuren. Dann muss man aufpassen, dass man den Bogen nicht überspannt. Es ist ein ständiges blade running, ein Ritt auf der Rasierklinge, immer auf dem schmalen Grad zwischen Genialität und Schmiere.
    Es gibt da diese nette Geschichte vom bayerischen Holzschnitzer, der von einem amerikanischen Touristen den Auftrag bekommt, einen Jesus am Kreuz für ihn zu schnitzen. Als der Amerikaner ihn abholen will, betrachtet er den Jesus und moniert:
    »Oh, der müsste aber mehr leiden.«
    »Wos muss der?«
    »Leiden. Ik muss der Trauer sehn, verstehst du?«
    »Kein Problem. Kimmst morgen wida.« Der Holschnitzer macht sich erneut an die Arbeit. Am nächsten Tag steht wieder der Ami in der Tür.
    »Wirklik sehr schön. Aber ik brauke mehr die Trauer. Ik muss ihn leiden sehn. Stronger. Du verstähn?«
    »Is scho recht«, meint der geduldige Bayer (Gibt’s das überhaupt?) und macht sich wieder ans Werk. Am nächsten Tag der Ami. Das gleiche Spiel.
    »Wirklik, ganz wunderbar. Aber ik brauke das Leid im Gesicht. Das Trauer in die face. You understand.« Wieder fängt der Bayer an zu schnitzen. Er schnitzt und schnitzt. Dann hält er inne, hebt den Jesus hoch, betrachtet skeptisch das Gesicht, hält es sich ganz dicht vor Augen: »Zifix, jetzt lacht er!«
    So ist das auch bei Großaufnahmen in der Schauspielerei. Eine Nuance zu viel und es stimmt nicht mehr. Es wird zwar nicht gleich aus einem weinenden Gesicht ein lachendes, aber die Wirkung ist dahin. Das Spiel erscheint erzeugt und unnatürlich. Der Zuschauer wird aus seinem Bann gerissen und man verliert ihn.
    Eines der schönsten Komplimente, das mir ein Regisseur gemacht hat, war: ›Heiner, wenn man dich bittet, in deinem Spiel etwas zu verändern, machst du nichts und veränderst doch alles.‹ Frei übersetzt heißt das: Je weniger du machen musst, um eine Emotion zu transportieren, desto besser ist das für den Schauspieler. (Wenn ich das so lese, muss ich sagen: Ein wirklich schönes Kompliment. Vielleicht sollte ich ein eigenes Kapitel machen mit den schönsten Komplimenten, die mir gemacht wurden?!)
    Noch besser verdeutlicht hat das mal Alfred Vohrer, eine Regielegende aus den 1960er bis 1980er Jahren. Er sagte mir als Anfänger vor einer Großaufnahme mal: »Du hast einen guten Kopf mein Junge, mach gar nichts.«
    Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Gott sei Dank. Sonst könnte es ja jeder machen.
    Es gibt beim Film eine Faustregel: Je dichter die Kamera herankommt, umso weniger muss ich gestalten. Je weiter sie weg ist, also in die sogenannte Totale geht, je deutlicher muss ich agieren. Deshalb habe ich auch so gerne auf Studiobühnen gespielt.

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