Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Kalbsnieren zu Gemüte führen wird. Es wird gelacht, geflachst und ein bissl mit der Bedienung geschäkert. Als die Geltube auf zwei Beinen an den Tisch tritt, wird es auf einen Schlag ruhig. Nicht, weil man dem Typen sofort ansieht, dass es sich hierbei um eine im München häufig auftretende ganz besondere Art der Gattung » VIP «, also »Very Impertinent Preißndepp« handelt, sondern weil er einen der gröbsten Kardinalfehler begeht, den man in einem Münchner Wirtshaus machen kann: Er nähert sich einem bereits besetzten Tisch und fällt gleich mit der Frage »Ist hier noch frei?«, also quasi mit der Tür ins Haus, ohne das Gespräch mit einem »Grüß Gott« oder zumindest mit einem »Guten Tag« (weil Preiß) in friedliches Gewässer zu lenken. Da die Herren lediglich mit einem kaum als Worte zu deutenden Brummen antworten, setzt sich der Schnösel schließlich und beginnt sofort seine Handykollektion in eine für ihn logische Position zu bringen, während er mit der freien Hand nach der Bedienung schnippt und durch das ganze Lokal »Fräulein!« plärrt. Zweiter Kardinalfehler. Keine Bedienung – und sei sie noch so jungfräulich – möchte von irgendeinem Gast »Fräulein« genannt werden. Wenn man schon meint, nicht warten zu können, bis die Servicekraft von selbst an den Tisch kommt, dann macht man sie höchstens mit einem »Entschuldigung« oder »Entschuldigung bitte, (derfad i was bstell’n)?« auf sich aufmerksam.
Aber wer schon einmal Gast im Sedlmayr war, der weiß, dass man sich um die Servicedamen dort keine Sorgen machen muss: Sie sind allesamt in der Lage, jedem Gast Paroli zu bieten … ob es sich nun um einen besoffenen Randalierer handelt, einen alten Gschaftlhuber oder halt einen jungen Preiß. Die Bedienung, die sofort erkannte, dass sie da ein ganz besonders wichtiges Gscheidhaferl (Besserwisser) vor sich hat, lässt ihn extra lange warten, bevor sie an den Tisch kommt und fragt: »Was’n kriagn ma denn, der Herr?«
Der schon leicht ungeduldige, weil wahrscheinlich unter Zeitdruck stehende Businessman schießt wie ein Maschinengewehr seine Bestellung ab: »Einen kleinen Schweinebraten und ein kleines Radler, aber mit alkoholfreiem Bier und zuckerfreiem Sprite!«
Au weh. Dritter Kardinalfehler: ein kleines Radler mit alkoholfreiem Bier und zuckerfreiem Zitronenlimo, da gibt es vonseiten der Münchner Mannsbilder nur ein kurzes Augenbrauenzucken, vereinzelt Geschmunzel, während die Bedienung im Abgehen zurückblafft: »Alkoholfreies Radler hamma ned, weil mir ’s Bier aus der Flaschen ausschenken, und da müssat ja ich den Rest von der Halbe saufen, und ich muss ja noch fahren, gell. Und ein zuckerfreies Gracherl hamma aa ned, weil des is ja a bayerische Wirtschaft und kein Müttergenesungswerk.« Im Gang zur Bonkasse plärrt sie dem grinsenden Schankkellner zu: »A kleins Radler für Herrn Doktor.« Und in die Küche ruft sie laut: »Und an Seniorenschweinsbrat’n.«
Der Schnösel ist kurz geplättet, vermutlich weil er einen Teil der Antwort rein sprachlich nicht verstanden hat. Dafür hatten es alle anderen Gäste im Lokal mitbekommen. Kurze Zeit später bringt ihm die Bedienung ein kleines Radler und eine kleine Portion Schweinsbraten. Die Mahlzeit ist recht übersichtlich und daher gleich verzehrt, und sie schmeckt ihm offensichtlich auch gut. Zufrieden wirft der Schnösel die Serviette auf den Teller, ruft: »Fräulein, zahlen!« und fängt an, seine Geldbörse nach der passenden Kreditkarte abzusuchen. Als er die Golden Amex mit einem leisen Schnalzer auf die Tischplatte gleiten lässt – natürlich nicht, ohne zu schauen, ob jeder am Tisch das Objekt kaufsüchtiger Begierde auch erspäht hatte –, meint die Bedienung wiederum recht laut: »Karten nehmen wir keine, nur Bares ist Wahres. Neunachtzig wären’s dann!«
Das ist des Guten zu viel. Der Hedgefonds-Mensch holt kurz Luft und beginnt sich aufzuplustern wie eine von Mamas Puten, die man mit lauten Pfeifgeräuschen geärgert hat: »Also, das ist doch wohl nicht Ihr Ernst? Auf der ganzen Welt zahle ich mit meinem guten Namen, nur in Bayern lebt man offensichtlich trotz Laptop und Lederhos’n noch hinter dem Mond! Das ist ja wohl eine Unverschämtheit, einen Gast so zu brüskieren. Sie sollten lernen, etwas mehr mit der Zeit zu gehen, sonst bleibt Ihnen irgendwann einmal die Kundschaft weg!« Während er der Bedienung einen Zehner hinwirft, so wie man sonst einem Hund seinen Knochen zuwirft, blickt er, um
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