Manche moegen's reicher
– und verdammt noch mal, ich werde es genießen.
Mutter Molly
»Was ist das denn?«
Günther, der rundliche Mann im Sportsakko neben mir, lehnt sich herüber, um auf meinem Tabletcomputer mitgucken zu können. Ich seufze innerlich auf. Das ist das Problem, wenn man Economy fliegt: Man hat null Privatsphäre, um sich zum Beispiel ein privates Video reinziehen zu können. Eigentlich hatte ich mir ja auf der Rückreise ein Businessclassticket gönnen wollen, doch es waren kurzfristig nur noch Sardinendosenplätze frei gewesen.
Ich erwäge, das Gerät einfach auszuschalten, doch ich kann mich von diesem Video einfach nicht losreißen, obwohl ich es inzwischen schon mindestens ein Dutzend Mal gesehen habe. Außerdem bin ich so stolz, und der Gedanke, meinen Triumph jemandem vorzuführen, und sei es diesem Günther, bedeutet mir eine gewisse Genugtuung. Also denke ich mir einfach spontan eine Geschichte aus.
»Das ist ein Videomitschnitt von einem Workshop«, erkläre ich.
»Ah, ein Workshop.« Günther nickt verstehend und glotzt dabei auf Clarissas Hintern. »Und welches Thema hatte der, wenn ich fragen darf?«
»Schauspiel«, erkläre ich mit gewichtiger Miene. »Eine gute Freundin von mir betreibt eine Schauspielschule in Los Angeles, und sie arbeitet dabei bevorzugt nach der Method-Acting-Methode.« Emma hat mir von dieser Methode berichtet, mit der man zum Beispiel einen Stein darstellen kann. Meine im Anschluss gestellte Frage konnte sie jedoch nicht beantworten, wozu ein Schauspieler das können sollte – wo man doch einfach auch einen Stein nehmen kann, wenn man einen Stein braucht.
»Was Sie nicht sagen!« Er beobachtet fasziniert, wie Clarissa in Unterwäsche und High Heels auf allen vieren den Flur der Villa entlangkrabbelt. »Und wie funktioniert die?«
»In der Hauptsache geht es darum, sich vollkommen in die Lage des darzustellenden Objektes zu versetzen«, führe ich aus.
»Aha.« Günther kann den Blick nicht von Clarissa wenden, die es inzwischen bis zur Sofalandschaft mit dem offenen Kamin geschafft hat. »Und was für ein Objekt musste diese Akteurin darstellen?«
»Aber das sieht man doch: ein Schwein. Genauer gesagt, ein Vietnamesisches Hängebauchschwein. Darum auch das Gegrunze«, erkläre ich.
»Ach darum, ich wollte schon fragen, wozu sie diese Laute macht. Und darum hat sie auch diesen Sack um, verstehe, und diese Schweinsohren auf dem … was ist überhaupt dieses rote Ding auf ihrem Kopf? Ist das ein Helm?«
»Nein, das ist ihre Frisur – sie übertreibt’s nur manchmal mit dem Haarspray, wissen Sie. Und dieser Sack ist ein Babybauch zum Umschnallen, mit dem man normalerweise Schwangerschaften simuliert. Bei der darstellenden Kunst muss man kreativ sein, wie Sie sehen.« Ich lächle ihn an.
»Verstehe.« Er nickt beeindruckt, und dann scheint er zu überlegen, wie er die nächste Frage formulieren soll. »Und wieso ist sie untenrum nackt? Muss sie in dieser Rolle als Schwein noch irgendwelche … ähm …« Er räuspert sich. »… speziellen Aufgaben erledigen?«
Spezielle Aufgaben? Was meint er denn damit? Ach, er denkt wohl …
»Oh nein, so ein Workshop ist das natürlich nicht«, stelle ich schnell klar. »Und sie ist auch gar nicht nackt, sie trägt nur einen Stringtanga – der war allerdings nötig, damit ihre Schweinebacken besser zur Geltung kommen.« Den Seitenhieb konnte ich mir nicht verkneifen. Schade nur, dass Clarissa ihn nicht gehört hat.
»Ach so.« Günther scheint ein bisschen enttäuscht zu sein, doch Clarissa ist auch fast nackt noch Blickfang genug. »Und was muss sie als Nächstes machen?«
»Sie muss versuchen, ihr Herrchen anzulocken.«
Im selben Augenblick beginnt Clarissa zwischen ihren Grunzlauten laut zu rufen: »George! Oink, oink! George! Where are you? Oink! Let me be your little swine and make me happy! Oink, oink! George, where are you? Come to me and make me happy! Oink, oink!«
Das war übrigens der Moment, in dem Emma vor Lachen ihre Erdbeermilch auf dem Teppich verschüttet hat, und auch Lissy und ich kriegten uns kaum noch ein. Clarissa auf dem Boden mit dieser Megawampe, dazu die Grunzlaute und das Bekenntnis, dass sie ein kleines Schweinchen ist – ich kann gar nicht in Worte fassen, was für eine Riesengenugtuung das für mich war nach all dem Ungemach, das diese Frau mir bereitet hat.
»Und wieso George?«, fragt mein Sitznachbar. Dann geht ihm plötzlich ein Licht auf. »Augenblick mal, der Typ da draußen auf der
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