Mandels Buero
Geschmack. Wenn mir das Auto schon zu aggressiv war, dann muss das für einen Fahrschulanfänger eine regelrechte Bedrohung dargestellt haben. Andererseits konnte ich den Dieter auch verstehen: Wenn du dein Auto schon zu hundert Prozent von der Steuer absetzen kannst, dann kaufst du dir natürlich ungern einen zehn Jahre alten VW Polo. Aber eigentlich auch keinen neuen gelben Audi A8. In matt.
Auf der Fahrt nach Babelsberg hörte ich zunächst U2, weil der Dieter das zuletzt in seinem Achtfach- CD -Wechsler gehört hatte. Aber natürlich zermürbend auf Dauer wegen der Daueremotion, also lieber Radio Drei, wo ein Essay über die Fragilität des Künstlerdaseins lief. Warum der Tod vom Tilmann endlich die richtigen Fragen in der Kulturwirtschaft aufwarf. Es ging um das Cui bono, wem nützt eigentlich so ein Todesfall am meisten – natürlich der Industrie –, und liegt darin nicht das Grundübel der gesamtdeutschen Rockmusik, nämlich die ausschließlich marktwirtschaftliche Herangehensweise, die Zurücksetzung der Inspiration ins dritte bis vierte Glied? Ich wechselte den Sender, weil ich Wortbeiträge über Kultur nicht leiden konnte. Nachrichten hätten mich interessiert. Außenpolitik. Irgendwas mit Krieg. Auf dem anderen Kanal kam irgendetwas ganz Abscheuliches wie Hootie & the Blowfish. Radio aus, augenblicklich. Keine Musik mehr im Auto, beschloss ich im Grundsatz. Noch nicht einmal im Sommer. Dieses hirnlose Herumgefahre bei offenem Fenster mit lauter Musik, das schien sowieso einer anderen Zeit anzugehören. Einer Zeit, der ich nicht hinterhertrauerte.
Ich kannte das Filmgelände in Babelsberg ein bisschen, weil Maria da mal gearbeitet hatte. Als Praktikantin für eine tägliche Seifenoper im Fernsehen. Damals, als sie gerade aus Chemnitz in die Stadt gezogen war mit Anfang zwanzig. Ich hatte sie regelmäßig vor dem Haupteingang abgeholt, und danach waren wir noch Pizza essen, bevor wir uns ungefähr bewusstlos gebumst haben.
Ich fuhr nicht bis ganz aufs Gelände, sondern parkte vor dem großen Tor – irgendwie war da eine Ehrfurcht vor der Filmbranche in mir. Ich ging zu Fuß weiter und rief die Malleck an. Die dirigierte mich am Telefon zur Marlene-Dietrich-Halle. Sie hatte den Sicherheitsmann am Eingang informiert. Nachdem ich meinen Namen sagte, wurde ich ohne Umschweife in die Halle gelassen. Die Halle war nicht besonders hoch, aber unglaublich lang. Ich konnte mich kaum umschauen vor lauter Länge. Zu meiner Rechten hatte jemand eine zertrümmerte Stadt aufgebaut. Bombenkrater, zerschossene Fassaden, bergeweise Schutt. Vielleicht Teil des Eva-Braun-Films.
Es kam mir vor, als wäre ich schon eine Viertelstunde unterwegs, als dann endlich die Malleck auf mich zukam. Sie war auf jünger geschminkt und trug eine unangenehm bauschige Frisur. Ich fand nicht, dass sie damit aussah wie Eva Braun, eher wie meine Mutter Anfang der Achtziger, aber ich hatte Eva Braun auch grade nicht im Kopf. Hinter ihr hatte jemand eine Art Wohnzimmer mit sehr niedriger Decke aufgebaut. Das sah nicht ungemütlich aus.
»Hallo Sigi! Bussi«, sagte die Malleck und gab mir einen Kuss links und einen rechts auf die Wange. Die Leute am Set sahen uns zu, und ich fühlte mich selbst wie ein Schauspieler.
»Was dreht ihr grade?«, fragte ich.
»Ach, Führerbunker. Vergiftungsszene.«
»Und wo ist der Führer?«, wollte ich wissen.
»Auf dem Klo«, sagte die Malleck.
»Verstehe«, sagte ich.
»Was gibt es denn so Dringendes?«, fragte die Malleck.
»Dass du überhaupt schon wieder arbeitest?«
»Ach ja. Auch wenn das hart klingt, aber dass der Leo tot ist, interessiert hier keinen. Klar gibt es Beileid, und du wirst andauernd in den Arm genommen, aber letztlich ist das Studio hier gebucht, und jeder Dreh, bei dem ich nicht erscheine, bringt mir eine Konventionalstrafe ein, die höher ist als meine Gage. Das war eh schon nett von dem Deininger, dass er mir eine halbe Woche frei gegeben hat. In der Zeit haben sie jetzt die Szenen mit der jungen Eva vorgezogen.«
»Aha. Du spielst gar nicht die ganze Eva?«, fragte ich.
»Die ganz junge Eva mit zehn. Die kann ich ja nicht spielen.«
»Ach so, klar.«
»Was ist denn jetzt, Sigi? Ich hab nur ein paar Minuten.«
»Gut, dann mach ich’s kurz. Ich war mit dem Mandel neulich im Sägewerk, und rate mal, wen ich da gesehen habe.«
»Ich dachte, du willst es kurz machen. Können wir das Raten weglassen?«
»Deinen Freund und Anwalt Holger Edelstein und den Urbaniak in trauter
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