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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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lag auf
drei Kissen gestützt. Ihr schwarzes Haar war verschwitzt, und Strähnen klebten
an der blassen Haut ihres Gesichts, an einer Haut, die vor den scharfen
Umrissen ihrer Schädelknochen durchsichtig wirkte. Ihre Augen waren geschlossen,
doch sie machte keinen friedvollen Eindruck. Eine Grimasse verzog den Mund,
obwohl Walter nicht erkennen konnte, ob es Schmerz war oder ein Symptom der
Krankheit.
    »Es stellt deinen Glauben auf die Probe, nicht wahr?« fragte ihn Sarah
über seine Schulter hinweg.
    »Das tut es.«
    »Bist du Christ, Walter?«
    Er nickte. »Ein schlechter.«
    »Gibt es eine andere Art?« fragte sie. »Sie hat einen schlimmen Tag
hinter sich. Ich weiß nicht, wie lange Bill sie noch bei sich behalten kann.
Selbst wenn ich immer rüberkomme... Ich wollte ihr heute morgen das Haar
waschen, aber...«
    »Du leistest großartige Arbeit, Sarah.«
    Sie knöpfte ihren Mantel zu und setzte sich den Hut auf.
    »Eine Stunde?« fragte sie.
    »Zwei, wenn du magst«, erwiderte er. »Ehrlich, ich habe wirklich
nichts zu tun.«
    Als sie ging, zog er die Schuhe aus und ging ins Schlafzimmer. Auf
der Kommode standen Bilder von Bill und Mary in glücklicheren Tagen. Die Fotos
zeigten eine auffallend schöne Frau. Dann hatte die Krankheit ihr den Gebrauch
ihrer Beine unmöglich gemacht, dann ihre Arme gelähmt, und jetzt hatte das
Leiden ihr Rückgrat und die Lungen angegriffen.
    Walter hatte die Geschichte von Benoit in der Einsatzzentrale gehört.
Daß Bill sie pflegte und ihr die Hand hielt und daß seine Schwester für ihn
einsprang, wenn er bei der Arbeit war.
    Eines Nachmittags, als er sicher sein konnte, daß Bill an einem Fall
arbeitete, ging Walter zu der Wohnung und stellte sich Sarah vor. Nach einigen
Mühen gelang es ihm schließlich, sie zu überreden, eine Pause zu machen, und
ihr das Versprechen abzunehmen, über alles zu schweigen.
    »Warum?« hatte sie gefragt. »Warum tun Sie das, und warum soll es ein
Geheimnis bleiben?«
    »Bill ist ein Kollege«, erklärte Walter. Das schien ihm zu genügen.
    Mary war es damals ein wenig besser gegangen, und Walter verbrachte
an drei Nachmittagen in der Woche ein oder zwei Stunden bei ihr und las ihr
vor. Jetzt schlief sie meist, doch er las ihr trotzdem etwas vor.
    »Hallo, Schönheit«, flüsterte er, als er ihr mit einem Handtuch die
Mundwinkel abwischte. Er ging ins Badezimmer und hielt einen Waschlappen unter
den Wasserstrahl, prüfte die Wassertemperatur, bis sie richtig war, ging dann
wieder ins Schlafzimmer und wischte ihr behutsam das Gesicht ab.
    Ein verblichenes Bild von Jesus, dessen Augen sanft dreinblickten und
der ein schwaches, gütiges Lächeln auf den Lippen hatte, hing über dem Kopfende
des Bettes.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte Walter zu dem Bild. »Du
hättest ein bißchen länger hierbleiben sollen, Kumpel.«
    Dann kniete Walter nieder, zog unter dem Bett ein Buch hervor und
setzte sich in den Schaukelstuhl.
     
    »Wo waren wir stehengeblieben, Mary?« fragte er. Er fand die Stelle in
dem vergilbten Taschenbuch, Mickey Spillanes Menschenjagd
in Manhattan, und sagte: »Ach ja, richtig. Wir fangen mit einem
neuen Buch an.«
    Er hüstelte leicht und gab sich die größte Mühe, seiner Stimme einen
dramatischen Tonfall zu geben, als er las: »Erstes
Kapitel: Niemand ging je über diese Brücke, nicht in einer Nacht wie dieser.
Der Regen war so fein, daß er fast wie Nebel wirkte, ein kalter grauer Vorhang,
der mich von den bleichen weißen Ovalen trennte, Gesichtern, die hinter den
beschlagenen Scheiben der auf zischenden Reifen vorbeifahrenden Autos
eingesperrt waren. Selbst das strahlende Leuchten in der Ferne, das nächtliche
Manhattan, war zu ein paar verschlafenen gelben Lichtern geworden.«
    Er las nur wenige Minuten, bevor er das Buch auf den Schoß legte und
einschlief.
     
    Er war bei Dietz aus seinem Nickerchen aufgewacht, kurz bevor Sarah
wiederkam, hatte ein paar Minuten mit ihr geplaudert, Mary auf die Wange geküßt
und war hinausgeeilt. Er war gerade noch rechtzeitig ins Büro gekommen, um mit
Mallon und dessen Söhnen einen Eggnog zu trinken, nach Hause zu hetzen, zu
duschen, sich zu rasieren und sich in seinen Smoking zu zwängen. Und Anne
anzurufen.
    »Tut mir leid, Liebling«, sagte er, als er sich meldete, »aber ich muß
heute abend arbeiten.«
    »Sei nicht traurig. Ich muß heute abend auch arbeiten.«
    »Ich wollte aber dabeisein.«
    Er erklärte, was es mit der Party im Plaza auf sich hatte. »Du

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