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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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der Welt am Abend
der Geburt unseres Erlösers.
    »Aber sicher«, bestätigte Walter.
    »Wir werden Sie anrufen«, sagte Jimmy, als er sich umdrehte und
wegging. Walter hätte vielleicht nicht weiter darüber nachgedacht, sondern nur
geglaubt, daß die Keneallys sich mit irgendeinem New Yorker Politiker trafen,
der den Senator nicht öffentlich unterstützen wollte. Doch plötzlich bekam
Walter Lust auf einen einsamen Drink im Oak Room, bevor er zu der vermutlich
hysterischen Party im Village fuhr.
    Ein stiller Drink in einer alten dunklen Bar. Das hörte sich gut an
und würde ihm die Chance geben, auch den Barkeepern frohe Weihnachten zu
wünschen. Also trottete er in die altehrwürdige Oak Bar, um dort über das
Leben, die Politik, die Liebe und die Schönheit eines Single Malt
nachzugrübeln.
    Er hätte es auch genossen, wenn da nicht Joe Keneally mit ein paar
Kumpanen in einer dunklen Ecke gehockt hätte, eingehüllt in eine
sprichwörtliche Wolke aus Zigarrenrauch. An einem Tisch auf der anderen Seite
des abgedunkelten Raums saß Marta Marlund allein. Walter sah, wie Jimmy
Keneally bei ihr vorbeiging und ihr den Schlüssel auf den Tisch legte.
    Und er sah, wie Joe Keneally hochblickte und lächelte. Walter
beschloß, auf den Drink zu verzichten.
     
    Der Gitarrist lächelte und nickte, als Walter sich durch das Gedränge
im Cellar einen Weg bahnte.
    Elvin Page war bei ihren festen Engagements Annes Begleiter. Er
lieferte die kühlen Akkorde, um die ihre Stimme sich ranken und von der sie
sich entfernen konnte, um dann zu seinem Grund-Beat zurückzukehren. Jetzt saß
er auf dem kleinen Podium und spielte ein Solo. Seine langen Finger glitten
über die Saiten und die Tonleiter hinauf und hinunter. Er spielte lieber ohne
Piektrum, da er das Gefühl hatte, mit seinem dicken, schwieligen Daumen einen
besseren Sound zu erreichen. Er war wie immer korrekt gekleidet und trug heute
abend einen tiefblauen Anzug mit einem weißen Hemd und einer blutroten
Krawatte. Sein rundes braunes Gesicht glänzte vor Schweiß.
    Walter winkte, als er sich aus seinem Mantel zwängte. Er hielt in dem
übervollen Club nach Anne Ausschau, sah sie aber nicht.
    Der Cellar war gedrängt voll mit Angehörigen der Boheme. Schwarz war
bei der Ostküsten-Avantgarde die Modefarbe der Saison, und die Dichter,
Musiker und Künstler sahen in dem dichten Zigarettendunst aus wie Schatten.
Wahrlich eine kosmopolitische Gruppe, das gestand ihnen Walter ohne weiteres
zu. Heimatlose Iren in Tweedjacketts brüteten über Bierbechern, während sie
versuchten, schick ausgemergelte Typen mit korrektem Haarschnitt und Rollkragenpullovern
von etwas zu überzeugen. Elegant gekleidete schwarze Jazzmusiker in dunklen
Anzügen, weißen Hemden und schmalen schwarzen Krawatten hörten geduldig zu,
wenn sie von den jeanstragenden Überresten der Alten Linken in ernste Gespräche
über Bürgerrechte verwickelt wurden. Einige Künstler, deren Hemden ostentativ
mit Farbe beschmiert waren, tranken billigen Wein und musterten die schlanken
College-Mädchen in ihren schwarzen Trikots und Strumpfhosen.
    Der Cellar paßte zu dieser bewußt düsteren Kleidung. Der Stuck an den
Wänden war abgeschlagen worden und hatte kahle rote Klinkersteine freigelegt.
Einige Film-Poster - Fahrraddiebe, Denn sie wissen
nicht, was sie tun, und Jules und
Jim — waren bewußt schief an die Wände geklebt worden. Die
Stühle und Tische waren buchstäblich Abfall und stammten vom Sperrmüll der
Stadt. Man hatte sie abgebeizt und mit etwas Firnis wieder aufgemöbelt. Die
niedrige Decke war voller Wasserflecken, die verrotteten Leitungen tropften,
und die freiliegenden Kabel konnten in jedem Moment eine Massenhinrichtung
auslösen. Es war der amerikanische Underground der Ostküste, und die Tatsache,
daß er sich in einem Keller traf, war eine rein zufällige Symbolik.
    Walter schluckte seine Abneigung herunter und konzentrierte sich auf
die Musik, als Elvin Page mit klaren, präzisen Tönen die Kakophonie aus
politischem Geschwätz, Süßholzgeraspel, klirrenden Gläsern und dem Summen
eines Mixers durchschnitt, der irgendein übles Gebräu zusammenrührte.
    »Wo ist die Braut?« fragte Mickey Evans, als er Walters Dinnerjackett
sah.
    »Habe ich auf der Hochzeitstorte zurückgelassen«, gab Walter zurück.
Er schüttelte dem Saxophonspieler die Hand. »Frohe Weihnachten...«
    »Ho-ho-ho«, erwiderte Evans.
    Walter dachte wieder einmal, daß Evans der untypischste Musiker war,
den er je gesehen

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