Manhattan Blues
wird sich wohl schon bald von der Contessa herumkutschieren
lassen«, sagte Anne traurig. Anne nahm seinen Arm und legte ihren Kopf an seine
Schulter. »Trotzdem bin ich traurig, daß du unseren Auftritt verpaßt hast.
Nachdem ich im Rainbow Room drei Auftritte für die Spießer hingelegt habe, war
es ein Kick für mich, ein bißchen richtigen Jazz zu singen.«
»Ich mag den Rainbow Room«, sagte Walter. »Und die Songs, die du dort
singst. Aber ich bin eben auch nur ein Spießer.«
»Weißt du, Silvester kannst du gern wieder Spießer sein«, sagte sie.
»Für den großen Abend geben sie mir eine Big Band. Wirst du dasein?«
»Ich werde nirgendwo sonst sein«, versicherte ihr Walter. »Wie wär's,
wenn du mir jetzt einen Drink bestellst?«
Sie lud ihn zu einem Wodka-Tonic ein und führte ihn zu einem Tisch in
der Nähe des Podiums. Elvin beendete sein Solo mit einem klaren Akkord und
übergab an den Bassisten Ronald Henson, einen hochgewachsenen, dünnen,
hellhäutigen Schwarzen mit einem bleistiftdünnen Schnurrbart, der gekleidet
war wie ein Engländer: Harris-Tweed-Jacke, Twillhosen und Strickkrawatte. Elvin
verließ das Podium und ging an die Bar, scheinbar, um sich einen Drink zu
holen, doch Walter erkannte es als Manöver, um die Aufmerksamkeit auf das
Baß-Solo zu lenken.
Walter hatte ohne die leiseste Animosität den Verdacht, daß Anne etwas
für Ronald Henson übrig hatte. Tatsächlich sah der Bassist gut aus wie ein
Filmstar und war sehr kultiviert. Anne hatte einmal zu Walter gesagt,
Bassisten schienen anders als alle anderen Musiker ihre Instrumente beim Spielen
zu lieben. Walter vermutete, daß der Baß von allen Instrumenten am meisten
einem Frauenkörper ähnelte, wenn auch einem von Modigliani gemalten. Und Walter
konnte sich leicht ein liebendes Paar vorstellen, so wie Henson das Instrument
an die Brust hielt und seine langen Finger über die Saiten gleiten ließ und sie
zupfte und dem Baß dabei lange, tiefe und leise Stöhnlaute entlockte. Ja,
Walter konnte sich sehr leicht einen Liebesakt vorstellen.
Wie anscheinend auch der Drummer Les Blake, der mit geschlossenen
Augen hinter seinem Schlagzeug saß und seine Besen in einem sanften Rhythmus
über die Becken gleiten ließ. Les, der Anne bei all ihren Plattenaufnahmen mit
den Besen begleitete, die er so sanft rührte, als wäre es ein Sommerkuß. Les
mit seinem drahtigen roten Haar, den dicken Wangen und seinem vanillefarbenen
Teint.
»Und wie geht's der königlichen Familie?« fragte Anne.
»Den Keneallys?«
»Wem sonst.«
»Sie hat einen charmanten Eindruck gemacht«, erwiderte er. »Und er hat
eine wunderschöne Rede gehalten.“
»Du schwärmst ja richtig!«
»Ich schwärme ganz und gar nicht«, gab er zurück. »Dreiunddreißig
Jahre alte Männer aus Connecticut schwärmen nicht. In Wahrheit sind wir für unser
feines Gefühl für Understatement bekannt.«
»Keneally ist ein Scheißkerl.«
»Das hast du gesagt«, schnurrte Walter. »Trotzdem glaube ich, daß ich
für ihn stimmen werde.«
Anne sah ihn aufrichtig schockiert an. » Hast du das HUAC vergessen?«
Das passend so bezeichnete Komitee für unamerikanische Umtriebe, das
sie wie »whack« aussprach. Was hatte Mort Sahl gesagt? Jedesmal, wenn die
Russen einen Amerikaner ins Gefängnis werfen, wirft das Komitee ebenfalls einen
Amerikaner ins Gefängnis, um den Russen zu zeigen, daß sie nicht damit
durchkommen?
Er sagte: »In der Blütezeit des Komitees war ich in Übersee. Wenn wir
schon dabei sind — du übrigens auch.«
»Na schön, aber was ist mit dem Senatskomitee für innere Sicherheit?«
fragte Anne. »Da sitzt Keneally. Damals nicht, Liebling, jetzt. Es ist das
gleiche wie HUAC, es hat nur einen anderen Namen.«
»Ja: >SISC<«, entgegnete Walter. »Vielleicht sollten wir Joe
Keneally Cisco Kid nennen. Dann kann ich Pancho sein.«
»Ich finde das nicht komisch.«
»Anscheinend nicht«, entgegnete Walter. »Hör zu, wir können wieder
Adlai nominieren und Nixon zum Präsidenten machen.«
»Es ist wirklich zum Kotzen«, sagte Anne.
»Oder Lyndon Johnson«, schnarrte Walter.
»Dann nehme ich Adlai.«
»Dann verlierst du.«
»Lieber mit Adlai verlieren«, sagte sie, »als mit einem
Kommunistenfresser und Kalten Krieger wie Joe Keneally gewinnen.«
»Ich bin auch ein Kalter Krieger«, sagte Walter.
»Dummes Gewäsch.«
Er zuckte die Schultern, nippte an seinem Drink und wandte seine
Aufmerksamkeit der Band zu. Er hatte keine Lust, sich Heiligabend von
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