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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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ein zweistöckiger Klinkerbau an der West 4th Street, und Walter kannte es seit der Zeit, als es noch
ein übriggebliebenes Speakeasy namens The Peppermill gewesen war. Das
Erdgeschoß war eine herkömmliche Bar mit einer kleinen Bühne - in Wahrheit eher
ein Podium —, gerade groß genug für ein Klavier und eine Sängerin. Das
Obergeschoß war allerdings alles andere als herkömmlich. Über die Hintertreppe
- eine architektonische Tatsache, die zu manchem üblen Scherz Anlaß gab -
erreichte man einen großen Raum, der nur den Jungs und den Mädchen und deren
geladenen Gästen diente.
    Das Obergeschoß wurde von einer distinguierten alten Tunte aus dem
Süden geleitet, einem Mann namens Jules Benoit, einem Strohmann, dem der Laden
nach außen hin gehörte. Die Wahrheit, wie Walter wußte, war anders: Das Good
Night gehörte wie alle anderen Schwulenkneipen im Village der Mafia.
    Die eigentümliche Ökonomie des Lasters, dachte Walter. Ob es nun um
illegales Glücksspiel geht, Prostitution, Drogen oder Perversionen, jede
Erscheinungsform des menschlichen Verhaltens, welche die Gesellschaft nicht
anerkennen will, zwingt sie in den Untergrund, wo die Mafia sie übernimmt und
gegen einen Aufpreis anbietet.
    Ebenso wie das Sittendezernat. Walter wußte, daß die Cops gut dafür
bezahlt wurden, daß sie im Good Night nicht die Hintertreppe hinaufgingen.
    Walter und Anne waren zum Good Night hinübergezogen, gleich nachdem
McGuire sein Gedicht beendet hatte. Von dem Moment an, in dem sie den Club betreten
hatten, begannen sie mit einem dieser stummen Kämpfe, wie sie bei altgedienten
Paaren vorkommen, denn Anne begann sofort, jeden im Raum zu umarmen und zu
küssen, worauf Walter bei einem Martini und einer Haltung distanzierter
Höflichkeit Zuflucht suchte.
    Das lag jedoch weder an der vorherrschenden Homosexualität der Gäste
noch an der Tatsache, daß einige von ihnen Frauenkleider trugen - sehr teure
dazu —, auch nicht an der offenen Küsserei zwischen den Männern.
    Doch, daran liegt es doch, gestand er sich ein. Es störte ihn.
Seltsam, weil es ihn in Europa nicht gestört hatte, nicht bei seinen
Aufenthalten in Amsterdam und Kopenhagen, und ganz gewiß nicht bei seinen
Expeditionen durch die Männerbordelle Hamburgs, wo er auf der Suche nach
jungen Talenten Köder für seine Fliegenfänger eingekauft hatte.
    Homosexualität kam ihm jedoch irgendwie unamerikanisch vor. Nicht in
dem Sinn von anti -amerikanisch, ganz gewiß nicht. Sie erschien ihm wie
ein europäisches Laster, das irgendwie im Widerspruch stand zu der aggressiven
Fruchtbarkeit Amerikas. Homosexuelle Amerikaner hier hatten die leicht
hysterische Energie von Eingesperrten, da sie in den Untergrund getrieben
wurden. Walter kannte den schauerlichen Druck, Geheimnisse wahren zu müssen,
die beengende Notwendigkeit, sich so tief zu verstecken, daß man sich nur in
kurzen, zwanghaften Ausbrüchen zu erkennen gibt, selbst wenn man sich sicher
fühlen kann.
    Diese klischeehafte Schrillheit der Homosexuellen, schloß Walter
daraus, ist das Pfeifen des kochenden Wasserkessels.
    Und an diesem Weihnachtsabend pfiff der Kessel besonders fröhlich.
    Der Raum war wunderschön eingerichtet, genau in dem Art-deco-Stil, den
Walter besonders schätzte. Das Lokal hatte die Aura einer eleganten Kneipe der
Prohibitionszeit und war für Weihnachten genauso herausgeputzt worden wie der
Saal im Plaza. Nur geschmackvoller, dachte Walter und lachte über sein
Vorurteil. Doch es war tatsächlich so. Die weißen, schwarzen und silbernen
Art-deco-Ornamente waren mit Lametta, Weihnachtsbäumen aus Aluminium und
schwarzen Scherenschnitten aus Karton auf Weihnachten getrimmt worden. Diese
zeigten den Schlitten des Weihnachtsmanns, Rehe, Spielzeugsoldaten und Puppen.
Auf dem langen Tisch mit dem Büffet in der Mitte des Raums war eine Modellbahn
kunstvoll aufgebaut worden, und die Lokomotive dampfte mit ihren Güterwagen
fröhlich um die Platten mit Fleisch, Käse, Brot und Salaten herum. Der
Kohlenwagen transportierte Oliven.
    Die Versammlung der Feiernden glitzerte nicht weniger. Da ihnen hier
kein Smoking-Zwang Beschränkungen auferlegte, sah man eine elegante Mischung
von Stilen, angefangen bei den dunklen Tweed-Anzügen der Schriftsteller —
Walter erkannte einen der erfolgreichsten Romanciers des Jahres und einen
mächtigen Kritiker - bis hin zu weiten, smaragdgrünen oder feuerroten
Seidenhemden über engen schwarzen Baumwollhosen, wie sie die Theaterleute
bevorzugten.

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