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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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war Anfang dreißig und hatte ein hübsches, aber hartes Gesicht, dessen Reiz sich einem erst nach und nach erschloss. Aber in dem richtigen Licht, nach einem guten Gespräch (oder ein paar Drinks) hätte man sie unvermittelt attraktiv finden können. Ihre Haut war fast so dunkel wie meine, ihr Blick war klar. Ihre Lippen wurden von der Patina eines verächtlichen Lächelns umspielt. Ich fragte mich, ob das ihr normaler Gesichtsausdruck war oder ob sie ihn für Leute wie mich extra aufsetzte.
    »Sie vertreten Zella Grisham?«, fragte Antoinette.
    »Sie hat mich angerufen und berichtet, dass Sie dafür gesorgt haben, dass sie entlassen wurde, und außerdem versucht haben, sie obdachlos zu machen.«
    »Sie ist eine Verbrecherin. Sie sollte im Gefängnis sitzen.«
    Diese kühne Behauptung ließ mich die Brauen hochziehen.
    »Ich wusste, dass amerikanische Konzerne ihre privaten Polizeitruppen haben«, sagte ich, »aber mir war nicht bewusst, dass sie jetzt auch das Rechtssystem privatisiert haben.«
    »Die Sprüche haben Sie von Ihrem Kommunistenvater«, erwiderte sie. »Tolstoy McGill.«
    Wenn sie mich beeindrucken wollte, war ihr das gelungen.
    »Sie jagen also nicht nur Zella.«
    »Ich untersuche den Raub von achtundfünfzig Millionen Dollar aus dem Besitz meines Arbeitgebers«, sagte sie. »Achtundfünfzig Millionen, das ist eine Menge Geld.«
    »Schnee von gestern.«
    »Scheich al-Tariq hat uns das Geld überlassen, um die Lieferung eines Teils der Ladung eines Öltankers seines Vaters nach Houston zu versichern«, sagte sie. »Rutgers musste den Verlust schlucken. Wenn die Firma also möchte, dass ich dem Schmelzwasser vom vergangenen Jahr notfalls bis ins offene Meer nachgehe, werde ich das tun. Und wenn Sie auf meinem Radar auftauchen, werde ich Sie mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verfolgen.«
    »Wollen Sie mir drohen, Miss Lowry?«
    »Ich sage Ihnen nur, was ich tue und was ich vorhabe. Wenn ich dabei herausfinde, dass Sie in irgendeine Art von Betrug oder Unfug verwickelt sind, werde ich dieses Wissen benutzen, um mein Ziel zu erreichen.«
    »Unfug? Woher aus dem Süden stammen Sie, Mädchen?«
    »Ich werde Zella Grisham verfolgen, bis eine von uns beiden stirbt, entweder sie oder ich. Und das Gleiche gilt auch für Sie, Mr. McGill.«
    »Es sei denn?«
    Das höhnische Lächeln schlug in ein vage komplizenhaftes um.
    »Wenn das Geld der Firma sichergestellt ist, ist die Jagd zu Ende.«
    »Das ist aber ein ganz schön kleines Büro, um solch große Erlasse zu verkünden«, sagte ich.
    »Rutgers steht mit seinem vollen Gewicht hinter mir.«
    Die Frau im Büro gegenüber war weiß, Mitte zwanzig, fast kahl und trug dunkelblauen oder vielleicht auch schwarzen Lippenstift. Dieses Bild und Antoinettes Worte ließen mich lächeln.
    »Zella wurde aufgrund gefälschter Beweise verurteilt«, sagte ich. »Davon war die Richterin überzeugt, deswegen hat sie das Urteil aufgehoben.«
    »Richterin Malcolm hat das Urteil aufgehoben, weil wir dagegen keinen Widerspruch eingelegt haben.«
    »Und das haben Sie nicht getan, weil Sie dachten, dass Zella, sobald sie auf freiem Fuß ist, Sie zu ihren Komplizen führen würde.«
    »Ich hab Sie im Auge, Mr. McGill. Laut Akten des NYPD sind Sie in so ziemlich alles verwickelt, von Unterschlagung bis bewaffneten Raub.«
    Wow. Ich fragte mich, ob diese Privatpolizistin womöglich erfolgreich sein würde, wo Carson Kitteridge gescheitert war.
    »Aber«, fügte Antoinette hinzu, »wenn Sie uns helfen, unseren Verlust wiederzuerlangen, können wir Ihnen eineinhalb Prozent Belohnung auf den zurückgezahlten Betrag anbieten.«
    »Das ist ein Haufen Geld.«
    »Was sagen Sie?«
    Ich lehnte mich zurück und beobachtete, wie das kahle weiße Mädchen über etwas lachte, was irgendjemand am Telefon sagte.
    »Mein Vater hat mir einmal erklärt, dass große Firmen zwar Bürgerrechte besäßen, aber keine organischen Wesen seien. Deshalb ist Rutgers auch unfähig, Gefühle zu entwickeln, wie zum Beispiel Beschützerinstinkt für seine biologischen Anhängsel. Will sagen, Miss Lowry, Sie sollten nicht glauben, dass Sie vor den Kräften sicher sind, die durch diesen … Feldzug entfesselt werden.«
    Diesen Fehdehandschuh musste ich ihr hinwerfen. Wenn jemand versucht, einem zu drohen, muss man dagegenhalten – diese Lektion hatte ich nicht von meinem Vater gelernt, sondern indem ich allein auf den Straßen New Yorks groß geworden bin.
    Die Sonderermittlerin nahm es ziemlich gelassen.

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