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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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erstreckenden Raums. Gordo saß in seinem abgetrennten Minibüro hinter seinem Schreibtisch und machte Häkchen auf einem langen Formular aus Millimeterpapier. Diese Formulare benutzte er, um Fort- oder Rückschritte eines talentierten Boxers einzuschätzen. Bis auf die in die obere linke Ecke gekritzelten Namen habe ich sie nie entziffern können.
    »Mr. Tallman«, sagte ich.
    Er blickte auf und erhob sich.
    » LT «, sagte er mit ausgestreckter Hand.
    Gordo war so groß wie ich und von kupferroter Hautfarbe. Er war eine Mischung aller Rassen, die Amerika zu bieten hatte, und wurde deshalb als Schwarzer bezeichnet. Er hatte mehr Haare als ich und war irgendwas zwischen siebenundsiebzig und neunzig Jahren alt, sah jedoch jünger aus. Der Sieg über den Krebs und eine neue Liebe waren wie ein Bad im Jungbrunnen für ihn gewesen.
    »Setz dich, setz dich«, sagte der spitzbübische Trainer.
    Sein Besucherstuhl war einer dieser Boxerschemel, auf denen man zwischen zwei Runden sechzig Sekunden in seiner Ecke saß und sich anbrüllen ließ, ehe der Gegner fortfuhr, einen zu verprügeln.
    »Was ist los. G?«, fragte ich.
    Gordo runzelte die Brauen und blickte mir direkt in die Augen. Er konnte das Fieber in meinem Körper erkennen. Wahrscheinlich kennt einen nie jemand so gut wie der eigene Trainer. Aber auch ich entdeckte etwas. In Gordos Blick lag eine Spur von Traurigkeit; etwas, das ich seit langer Zeit nicht dort gesehen hatte.
    »Was ist mit dir, Kleiner?«, fragte er.
    »Du zuerst, alter Mann.«
    Der Trainer sank zurück in seinen grau-grünen Bürostuhl und ließ die Schultern sacken, während er langsam den Kopf schüttelte.
    »Ich hätte dich wahrscheinlich gar nicht anrufen sollen«, sagte er.
    »Hast du aber.«
    »Vielleicht ist sie schon weg.«
    »Wer?«
    »Elsa.«
    »Weg? Ich dachte, ihr zwei wolltet heiraten?«
    Elsa Koen war die private Krankenschwester, die Katrina für Gordo engagiert hatte, als er, während er wegen Magenkrebs behandelt wurde, bei uns wohnte. Damals dachten wir, er wäre zum Sterben gekommen. Die deutsche Krankenschwester hatte sich in den alten Kerl verliebt, obwohl sie dachte, er wäre praktisch obdachlos.
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Ich hab ihr von meinen Immobilien erzählt.«
    »Plural?«
    Ich hatte immer gedacht, dass Gordo das Studio im fünften Stock gemietet hatte. Es gab sogar einen Hausverwalter und alles. Wie sich herausstellte, gehörte Gordo das ganze Gebäude, fünfzehn Stockwerke in Midtown Manhattan.
    »Ja«, sagte er. »Ich hab noch zwei Häuser drei Blocks weiter nördlich.«
    »Komplett vermietet?«
    »Ja. Die verwaltet Skidmore auch.«
    »Verdammt. Also hast du Elsa davon erzählt, und sie hat gesagt, sie geht. Einfach so?«
    »Hm-hm.«
    »Da muss doch noch was gewesen sein. Willst du einen Ehevertrag oder was?«
    »Nein. Ich hab ihr erklärt, was meins ist, ist auch ihres.«
    »Verdammt.«
    »Rede mit ihr, für mich, ja, LT ? Elsa respektiert dich.«
    Das ganze Ausmaß von Traurigkeit zeigte sich in Gordos Gesicht, doch es war nicht sein Kummer, der mich rührte. Gordo bat nie jemanden um irgendwas. Er war ein Boxer, er lebte nach der Philosophie, dass man eine Niederlage niemals eingestand – niemals. Vielleicht kassierte man einen Treffer und landete auf dem Arsch, aber selbst dann versuchte man mit aller Kraft, die man noch hatte, vor neun wieder auf die Beine zu kommen.
    »Okay«, sagte ich.
    Die Treppe zu Gordos illegaler Wohnung im fünfzehnten Stock hatte auf jedem Absatz ein kleines Fenster mit Blick auf die 34 th Street und den Hudson River. Ichnahm jeweils zwei Stufen auf einmal, um das Training wettzumachen, das ich im Studio nicht absolviert hatte. Gordos Tür stand offen. Ich klopfte trotzdem. Als ich keine Antwort erhielt, betrat ich die Wohnung.
    »Hallo?«, fragte ich. »Elsa?«
    Obwohl die Wohnung keine hundertzehn Quadratmeter groß war, hatte der Kaninchenbau bestimmt elf Zimmer. Die Decken waren niedrig, viele Zimmer hatten keine Fenster. Ich fand Elsa in einer winzigen fensterlosen Kammer, die nur mit einem schmutzigen hellbraunen Sofa und einem tragbaren Fernseher möbliert war. Vor ihr standen drei hellblaue Koffer. Sie hatte geweint.
    »Elsa.«
    Sie blickte zu mir auf und neigte den Kopf zur Seite. Die Krankenschwester hatte rote Haare und blasse Haut. Sie war nicht schön, doch in jeder Beziehung anständig.
    »Was ist los, Schätzchen?«, fragte ich.
    Sie machte den Mund auf, doch Worte standen ihr vorübergehend nicht zur

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